Vor 3 Monaten saß ich mit einem Start-Up Advisor beim Lunch und tauschte mich über Start-Ups, das Aufbauen von Firmen und die Erlebnisse darüber aus. Er fragte mich: „Wie wählst Du Start-Ups aus, in die Du Dich engagierst?“. Als ich versuchte eine möglichst umfassende Antwort zu geben realisiert ich, dass ich eigentlich ganz klare Regeln habe, diese aber so klar formuliere. Was auf Start-Ups zutrifft, ist in gleichem Masse auch für die Innovationsfähigkeit bereits am Markt etablierter Unternehmen relevant. Hier ein Take.
(Lesedauer 7 Min.)
Innovative Unternehmen vs. Schein-Innovative Unternehmen
Sucht man auf Google nach der Definition eines Innovativen Unternehmens erhält man solche Dinge:
Diese Art von Geschwurbel hört man noch immer häufig und es ist wenig hilfreich, wenn es darum geht Innovation in Unternehmen zu greifen. Was heißt das genau „ein Unternehmen bereits ist, seine Produkte und Prozesse zukunftsorientiert zu gestalten“? Oder „komplexe Systeme, die sich schnell verändern“? Ersteres ist doch bitte eine Selbstverständlichkeit, die Basis allen Unternehmertums und zweiteres, na ja, ist nicht unser aller ganzes Leben komplex und verändert sich schnell.
Es ist daher oft so, dass Symptome der Innovation mit Innovation gleichgesetzt werden. Der Kicker- Tisch im Büro (keine Angst gibt’s auch bei einer meinen Firmen) versinnbildlicht eine Kultur die Ideen und Agilität Raum lässt. In den wenigsten Büros, in welchen diese Sinnbilder anzutreffen sind, konnte ich hingegen auch Innovationsgeist feststellen.
„Unternehmen sind dann innovativ, wenn Sie laufend neue Technologie und Methodologie einbeziehen, um in ihrem Bereich in hohem Takt besser zu werden. Ja, es ist so simpel.“
Von Innovation zu Disruption
Nun ist genau diese graduelle Verbesserung, diese Innovation, das was mich bei Start-Ups am wenigsten interessiert. Innovation in klassischem Sinne ist etwas was für etablierte Unternehmen wichtig ist, da sie zum einen bereits eine Marktteilnahme haben welche sie verteidigen müssen, auf der anderen Seite aber laufend Weiterentwicklung zu betreiben haben um, im besten Fall, ihre Position ausbauen zu können.
Start-Ups haben in der Regel keine nennenswerte Marktteilnahme weshalb klassische Innovation per se nicht von Bedeutung ist.
Auf was es wirklich ankommt bei Start-Ups ist das disruptive Potential. Was der Unterschied zwischen Innovation und Disruption ist, habe ich hier bereits einmal im Detail beschrieben.
Die drei Teile des „disruptiven Potentials“
Ich weiß, Sie werden denken, wieder so eine Wortklauberei. Lassen Sie es mich erklären:
Ich glaube drei Teile sind bei der Einschätzung des disruptiven Potentials entscheidend.
No 1: Die „Technologische Wette“
Ich glaub der unterliegende Haupttreiber jeglicher radikalen Innovation ist immer
- eine neue Technologie oder
- eine bestehende, sich gerade stark verbessernde Technologie
- oder eine neue mögliche Kombination von verschiedenen Technologien
Dabei ist es irrelevant, ob das Unternehmen die Technologie selbst treibt und entwickelt oder ob sie davon einfach Gebrauch machen kann. Eine Wette sollte dieses unterliegende Prinzip in dem Sinne sein, als dass die technologische Entwicklung für Sachkundige zwar mit einer gewissen belastbaren Wahrscheinlichkeit absehbar, jedoch in der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt ist.
Eine solche Wette könnte folgendes sein: „Ich wette darauf, dass die technologischen Verbesserungen bei der Akkutechnologie in den nächsten Jahren so schnell voranschreiten werden, dass damit ganz neue Anwendungsfälle in Branche X, Y und Z möglich werden.“
Man wettet ganz einfach darauf, dass man mit dieser Technologie in 5-10 Jahren ein Problem fundamental besser lösen kann. Fundamental besser in dem Zusammenhang sollte sich meiner Meinung nach immer auf das Kommerzielle konzentrieren. Sicher sind zusätzliche Nicht-monetäre Vorteile hilfreich, am Ende entscheiden aber immer kommerzielle Vorteile.
No 2: Das Team
Das ist was Venture Capital Firmen den lieben langen Tag predigen: Wir investieren ins Team (das ist in der Tat bei den wenigsten wirklich so, denn meist wird verständlicherweise einfach in „kommerzielle Fakten“ investiert). Beim Team gilt: Ein schlechtes Team kann basierend auf einer guten „Technology Bet“ kein Disruptionspotential aufbauen. Andererseits kann ein gutes Team auf einer schlechten „Technology Bet“ kein Disruptionspotential aufbauen. Wann ein Team gut ist, darüber scheiden sich die Geister. Persönlich bin ich der Meinung, dass es ein gutes Zeichen ist, wenn im Team über Dinge mit großem Einsatz für die Sache gestritten werden kann man sich aber nach einer relativ kurzen Zeit auf einen gemeinsamen Nenner einigen und darauf aufbauen kann. Ist immer Frieden werde ich skeptisch. Das ist meist ein Anzeichen dafür, dass zu wenig konsequent vorgegangen wird.
Daneben ist ein gutes Team sicher von sich ergänzenden Skills geprägt. Am Ende ist jedes Unternehmen, wirklich jedes, eine Gruppe von Leuten, die aus unterschiedlichen Motivationen versuchen zusammen eine definierte Veränderung zu schaffen. Ich plädiere jeweils dafür, das Team und damit das Unternehmen zu etwas zu verklären was es letztendlich nicht ist: Eine eigenständig handelnde Entität. Das ist falsch, am Schluss ist es immer nur eine Gruppe von Leuten.
No 3: Marktpotenzial
Marktpotenzial ist wohl allen ein geläufiger Begriff. Leider wird er aus unternehmerischer Sicht oft missverstanden in dem man einen heutigen Markt analysiert und dann zum Schluss kommt, dass der Markt für XY eine gewisse Grösse hat. Disruptive Lösungen aber, schaffen sich zu einem grossen Teil neue Märkte oder aber verändern die Spielregeln der bestehenden Märkte so, dass «Legacy-Anbieter» an Konkurrenzfähigkeit verlieren.
«Für Unternehmen, welche auf eine solide technologische Wette aufbauen, das Team mitbringen diese Vision auch umzusetzen, gibt es immer erhebliches Marktpotential. Die Frage ist nur wann es dieses gibt.»
Ganz grundsätzlich kann ich nur raten nicht allzu gross auf bestehende Marktverhältnisse zu achten, sondern die Entwicklungen genau im Auge zu behalten. Viel wichtiger sind die Wachstumsraten, auch wenn sie noch klein sind. Sind es hohe sich dynamisch positiv entwickelnde Wachstumsraten, deutet vieles darauf hin, dass diese Entwicklung «durchziehen» wird.
Das Marktpotential von komplett neuen Lösungsansätzen kann durch Befragung erstaunlich leicht eingeschätzt werden. Ich bin noch immer erstaunt, dass das nicht öfter gemacht wird.
Timing
Nun, das alles Entscheidende, um diese drei Komponenten zusammen zu bringen ist logischerweise das richtige Timing. Zum einen muss sich zum richtigen Zeitpunkt ein möglichst gut zusammengestelltes Team um eine «Technologische Wette» kümmern können. Das ist recht selten. Noch schwieriger ist, diesen Bezug zum Marktpotential herzustellen. Denn Investoren werden schnell skeptisch, wenn es darum geht heute in etwas zu investieren, dass erst für einen Markt von morgen relevant wird.
Paradoxerweise wird es tatsächlich einfacher (aber nicht günstiger), wenn man selbst der Treiber dieser technologischen Entwicklung ist. Die Dinge werden vorhersehbarer, das Tempo ist besser zu kontrollieren.
Eine technologische Wette – viele Verticals
Um die Kosten der technologischen Entwicklung besser rekuperieren zu können, ergibt es Sinn, die Vorteile der Technologie in verschiedenen Anwendungsfällen parallel zu skalieren. Das ist warum radikal innovative Firmen oft bald in verschiedenen Domänen direkt oder indirekt aktiv sind.
Disruptive Start-Ups
Was mich an Start-Ups interessiert sind genau diese drei Komponenten. Es ist der Grund warum ich überhaupt neue Firmen baue und versuche damit vorwärts zu gehen. Konventionelle Unternehmen oder Start-Ups mit «me-too» Charakter interessierten mich nie. Allerdings musste ich das auf dem Weg zuerst herausfinden. Am Ende, so finde ich, gibt es nichts Spannenderes als wirklich Neues zu bauen. Dinge die einen Paradigmenwechsel beschleunigen. Sie sind unsere Zukunft.
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Eine Antwort auf „Wie erkennt man disruptives Potential in Unternehmen?“
Ein sehr guter Artikel, vielen Dank dafür! Ich fasse Innovation und Disruption gern so zusammen: inkrementelle Innovation Disruption.
Disruption ist also quasi die „Spitze“ der Innovation, quasi neues mit der höchsten Geschwindigkeit, dem größten Umwälzungspotenzial und/oder den meisten betroffenen Bereichen.
Gehen sie damit d’accord?
Viele Grüße!
Benjamin Eidam