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Digital Transformation

Warum Vertrieb heute anders als früher ist!

Letzte Woche habe ich den interessanten Artikel von Andreas Kassat mit dem Titel «Schlechte Kinderstube oder neuer Trend: Unerreichbare Kontakte» gelesen. Sie sollten es auch tun. Der Artikel handelt davon, dass viele Kontakte nicht zurückrufen, nicht erreichbar seien und im Verkaufsprozess statt eine Offerte abzusagen, sich einfach gar nicht mehr melden. Andreas Kassat bringt damit ein sehr spannendes Thema auf, zu dem ich als Anbieter und als Abnehmer eine Beziehung habe. Vorausgeschickt sei: Ich glaube nicht, dass die Menschen keinen Anstand mehr haben. Aber die Menschen verändern Ihr Verhaltensmuster laufend und das hat in Bezug auf den Sales ziemlich gravierende Auswirkungen. Ein paar Gedanken zu einem Bereich, der indirekt mehr durch Technologie getrieben wird, als uns das bewusst ist.

 (Lesedauer: 5 Minuten)

Sättigung, gerade auch im B2B Bereich

Wir dürfen bei all den Details nicht vergessen, dass wir uns in einer gesättigten Welt befinden. Es gibt eine Nachfrage klar. Die ist aber im Vergleich zu, sagen wir mal, den 80er Jahren einiges geringer. Und es gibt Investitionshemmungen, die sich dadurch begründen, dass die Amortisation von Investitionen viel schneller passieren muss. Zudem gibt es, gerade auch durch die Globalisierung, mehr Konkurrenz. Das macht das Umfeld für eher konventionelle Produkte sehr viel schwieriger.

Informations at your fingertips

Und durch das Internet suchen Kunden selten lange eine Lösung für Ihre Probleme. Für die meisten konventionellen Fragestellungen reichen 30 Minuten Recherche, um passende Anbieter zu evaluieren. Darum sind auch Messen weniger relevant geworden. Der Kunde hat den ganzen Kauf-Prozess sozusagen gekapert, an sich gerissen. Er will meist ganz selbst den Takt angeben, die Spielregeln definieren und zum Kauf durchmarschieren. Oder es eben auch bleiben lassen.

In diesem Kontext sind geführte Verkaufsprozesse, wie wir sie vom traditionellen Verkauf kennen, gewissermaßen ein Eingriff in die Selbstbestimmung des Kunden.

Ich denke, es ist diesem Umstand geschuldet, dass Kunden plötzlich nach einem vermeintlich guten Gespräch und Kontakt einfach abtauchen. Es ist ihnen zu viel des Guten. Das ist ein Erklärungsversuch, keine Rechtfertigung.

Was erschwerend dazu kommt: Die Kunden stehen meist mit verschiedenen Anbietern, die sehr nahe beieinander liegen, im Kontakt. Und haben einfach für sich zu wenig Klarheit, mit wem sie weitergehen möchten. Je heterogener das Produkt oder die Dienstleistung, desto schlimmer. Ich werde regelmäßig von Firmen kontaktiert, welche eine Internetagentur evaluieren und sich am Schluss nicht zwischen 3 Anbieter entscheiden können. Nicht weil sie doof wären, sondern weil es wirklich schwierig ist, eine gute Entscheidung zu fällen.

Und ja, natürlich hat so mancher nach einer Entscheidung Mühe zu sagen, nein mit Dir möchte ich nichts ins Geschäft kommen. Einfach «abzutauchen» ist nicht die feine englische Art, aber ich glaube es ist meist eher dem Umstand geschuldet, dass man niemanden enttäuschen möchte.

Das kenne ich denn auch aus Käufer-Sicht. Es ist hart einem Anbieter, dessen Leute sich echt Mühe gegeben haben, und die man ja dann meist mag, offen und direkt abzusagen. Weil man damit jemanden enttäuschen und gleichzeitig auch die Beziehung abbrechen muss. Im Grund genommen ist die Aussage dahinter: Ihr seid in diesem Fall hier nicht gut genug. Das ist nichts Schönes.

Meine persönliche, nicht repräsentative Erfahrung zeigt, dass die Leute in den wenigsten Fällen total ignorant sind. Das üble Gefühl vom Kunden einfach nichts mehr zu hören, kenne ich natürlich auch. Auch nichts Schönes.

Selbstbestimmte Aufmerksamkeit

Zur Telefonakquise habe ich mittlerweile eine ganz spezielle Beziehung. Ich halte sie für unanständig. Und das meine ich nicht nur in Bezug auf Cold-Calling, sondern auch in Bezug auf Follow-Ups. Ich bin dazu übergegangen, Telefonate eigentlich gar nicht mehr abzunehmen. Das tönt jetzt richtig doof oder?

Ist es aber nicht wirklich. Denn ich kriege viele Telefonate. So viele, dass wenn ich einen Tag nicht im Office bin, meist 15+ Anrufe in Abwesenheit auf dem Display stehen.

Der Rückruf ist das Unproduktivste überhaupt: Wird die Nummer erkannt, weiß ich wer es war und könnte mich vorbereiten und wenn ich jetzt mein Gegenüber gerade zu einer Zeit erwische, wo er oder sie nicht im Meeting ist oder sonst wie in stiller Arbeit beschäftigt, wäre das sehr gut. Nur tritt das superselten ein. Denn meist kenne ich die Nummer nicht und mein potentieller Gesprächspartner ist irgendwie beschäftigt.

Was daraus erwächst, ist ein mühsamer und ineffektiver Koordinationsprozess. Das könnte ich mir zwar leisten, aber ich will das nicht. Meine Zeit ist unwiederbringlich. Ich bin mein eigener Meister meiner Aufmerksamkeit.

Darum nehme ich nur ganz selten ab. Und zurückrufen tue ich nie einfach aufs Geratewohl, sozusagen ab Display. Das hat auch damit zu tun, dass man einfach unglaublich viele Cold-Calls bekommt. Es sind sicher mindestens 3-7 pro Tag. Es ist einfach zu viel. Und ich nehme mich nicht als unanständigen Menschen wahr. Ich empfinde eher die permanenten und kontinuierlichen Eingriffe in meine Aufmerksamkeit als Zumutung.

Dabei spreche ich sehr gerne mit Menschen. Manchmal auch am Telefon. Aber ich versuche das vorher zu koordinieren, gerade auch mit Kunden. Einen Telefontermin zu vereinbaren. Dass diese absichtlich nicht wahrgenommen werden, habe ich praktisch noch nie erlebt.

Passives Verkaufen

Dieses pro-aktive Verkaufen halte ich denn auch für tot. Das «pro» steht ja meist primär für übersteigerte Aktivität. Und das kann schnell in die Hose gehen. Nämlich dann, wenn ich, statt potentiellen Kunden zu helfen, diese nerve. Das schlägt so schnell um und hat die Verkäufer in Verruf gebracht.

Ich bin seit langem ein großer Fan von Solution Selling. Dabei steht nicht das «Abdrücken» eines Deals im Vordergrund, sondern die Erarbeitung einer Lösung für den Kunden – mit den Produkten und Dienstleistungen die ich Angebot habe. Das ist mehr ein Prüfen, ob Kunde und Anbieter zusammenpassen, ob die Lösung Sinn ergibt, als ein Kapern des Verkaufsprozesses.

Und so versuche ich das auch zu sehen für mich: Auf den ersten Blick macht eine Zusammenarbeit zwischen unserem Unternehmen und dem Kunden natürlich Sinn. Es ist wie eine Hypothese, die man versucht zu widerlegen. Gibt es einen Haken? Passt es doch nicht? Die erste Frage sollte jene nach den Budgetvorstellungen sein, denn diese ist fundamental. Meist scheitert es bei mir daran, das ist ok. Es spart mir unglaublich viel Zeit – Zeit, die ich notabene auf jene Interessenten verwende, welche für uns passen.

Offenheit

Dieser Ansatz hat mich sehr weit gebracht. Gerne erwähne ich an Erstgesprächen, dass ich gekommen sei, um zuzuhören. Sie glauben nicht, wie viele Interessenten das schon fast erlösend zur Kenntnis nehmen. «Endlich mal einer, der uns nicht zu textet, der nicht sagt, es sei alles einfach und kein Problem». Und dann höre ich tatsächlich zu.

Mit dem so gesammelten Material gehe ich zurück in die Firma. Wir besprechen Lösungswege im Team und versuchen etwas zusammen zu stellen, das dem Kunden wirklich hilft. In vielen Fällen ist das nicht möglich. Die Lösung passt nicht 100%. Viele Sales-Leute machen in solchen Situationen dann den Fehler, dass sie nicht loslassen können.

Glaubwürdigkeit

Und so versuchen sie dem Kunden die 70% Lösung dann doch noch anzudrehen. Der Kunde merkt das aber in der Regel und ich behaupte mal, er nimmt das einem übel. Vielleicht nicht so bewusst, aber er fühlt sich halt leicht verschaukelt. Ich versuche das nicht zu tun. Ich gehe halt einfach hin und biete an was wir tun können und sage auch, wenn ich das Gefühl habe, dass es noch Lösungen gäbe die optimaler seien, wir die aber nicht anbieten können.

In den allermeisten Fällen sind die Interessenten für diese Offenheit sehr dankbar. Der Deal ist zwar für uns verloren. Mit dem Kunden habe ich aber eine gute Beziehung. Man begegnet sich immer zweimal. Mindestens. Die Alternative wäre den Verkauf durchzuquetschen, wenn das überhaupt funktioniert, ein Projekt zu machen, das schiefliegt, die Mitarbeiter belastet und den Kunden dann letztlich zu verlieren. Eine ziemlich einfache Entscheidung finde ich.

In der Höhle sitzen

Früher habe ich mich über Leute, die passiven Sales gemacht haben ausgelassen. Sie würden in der Höhle sitzen und warten bis jemand vorbeikommt. Das war in einer Welt, in der Informationen nicht in jedem Hosensack verfügbar waren, tatsächlich falsch. Akquise war enorm wichtig.

Heute, so denke ich, hat sich das enorm gewandelt. Es geht, gerade für Dienstleister, in erster Linie darum, sich auffindbar und erlebbar zu machen. So, dass der Kunde einen nicht nur findet, sondern auch sehr schnell einschätzen kann. Das läuft heute unter Inbound-Marketing, sollte aber vielmehr Inbound-Lead-Generation heißen. Und Storytellling ist ein Teil davon.

Dabei ist es einfach wichtig, in dem Moment, in dem er vor der Höhle steht, auch wirklich da zu sein. Präsent zu sein. Ihm dann nicht auf die Nerven zu gehen, in dem Sie versuchen seine Aufmerksamkeit fremd zu bestimmen. Und möglichst ehrlich und offen zu sein. Ich glaube, dann kann nicht so viel schiefgehen.

Umdenken

Ich glaube, Andreas Kassat macht einen sehr guten Job. Das zeigt nur schon die Auseinandersetzung mit dem Thema. Gerade auch die Frage «Was habe ich falsch gemacht? » ist die Basis für Weiterentwicklung. Die Antwort auf diese Frage ist: Nichts. Man darf heute Anstand erwarten und man sollte es auch. Dazu gehört als Entscheider zurückzurufen, wenn man bereits im Gespräch mit einem Anbieter ist und Absagen zu erteilen, wenn man nicht weitergehen will. Das ist das Mindeste.

Auf der Anbieterseite bedeutet Anstand aber heute auch, nicht «coldzucallen» oder aus heiterem Himmel durch zu klingeln einen Tag nach Angebotsversand oder jeden zweiten Tag Follow-up Mails zu schicken. Es bedeutet heute die Aufmerksamkeitsspanne des Kunden zu respektieren. Sich dem veränderten Verhalten und Erwartungen der Kunden anzupassen. Und davon für die eigene Arbeit zu profitieren.

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6 Antworten auf „Warum Vertrieb heute anders als früher ist!“

Wie (fast) jeder Ihrer Artikel mal wieder ein sehr gutes Stück content. Auch wenn ich der Aussage zustimme, dass reine „cold-calls“ nicht mehr Zeitgemäß sind, so ist heutzutage eigentlich kein Anruf mehr kalt solange man sich Zeit für die Recherche nimmt, die Marktsituation, Unternehmen und Ansprechpartner kennt und sich in der Toolwelt auskennt. Leider jedoch ist diese Kompetenz unter Vertrieblern rar gestreut.

Ein ganz toller Artikel, den ich aus eigener Erfahrung annähernd gänzlich bestätigen kann.

Nur bezüglich der Feststellung „Ich glaube nicht, dass die Menschen keinen Anstand mehr haben.“ würde ich persönlich mir wünschen, dass der allgemeine Anstand auch auf den notwendigen Mut, unbequeme Dinge zu äußern, ausgedehnt wird.

Viele Grüße
Rolando

Ein ganz super Artikel, der die heutige Situation darstellt. Die meisten Verkaufsleiter glauben nur nicht daran weil durch diese Situation die Verkaufsaktionen nicht plakativ zu quantifizieren sind. Die andere Gruppe sind eben auch einige Verkäufer, die veränderungsresistent sind.
Aber es ist unbestritten, verkaufen hat sich im digitalen Zeitalter verändert und wir sollten dieser Tatsache ins Auge sehen und uns anpassen.
GlG
Christian

Sehr spannende und treffende Ansichten. Nur haben viele Unternehmen nicht, entschuldige den Ausdruck, „Eier in der Hose“ diesen Aspekten Rechnung zu tragen und entsprechend umzudenken.

Beispiel ColdCallings: Immer weniger erfolgreich, aber einfach messbar. Am Ende stimmen unter dem Strich die (zurechtgelogenen) Zahlen einmal mehr nicht und der Kreislauf beginnt von vorne. Solange quantitative Ziele alleinige Taktgeber sind wird das schwierig mit dem Umdenken.

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