Wer hätte das gedacht. Der Mann, der am laufenden Band Halbwahrheiten und offensichtlich falsches hinausposaunt und damit Präsident der Vereinigten Staaten geworden ist, scheint so etwas wie der „Schürfstein“ auf dem Weg zu einem neuen Selbstbewusstsein der Medien geworden zu sein. Die daraus entstehende Debatte über die Rolle der traditionellen Medien könnte absurder nicht sein und zeigt auf, dass man in allen Lagern an einer neuen Undifferenziertheit leidet.
(Lesedauer 7 Minuten)
Lehrstück in der Schweiz
Am 24.02.2017 lief am Schweizer Fernsehen eine Ausgabe der politischen Diskussionssendung Arena zum Thema «Trumps Krieg» (bedauerlicherweise nur in Schweizerdeutsch). Hinter dem ein wenig irreführenden Titel der Sendung stellte sich folgende Fragestellung:
Gibt es gute Gründe, den Medien zu misstrauen? Oder sind die Medien wichtiger denn je, um Trumps Lügen aufzudecken? Und: Wird den Schweizer Medien noch vertraut?
Anstatt differenziert diesen Fragen nachzugehen und einen echten Austausch zu ermöglichen, hat die Redaktion anscheinend beschlossen, den Vorwurf, dass Medien voreingenommen wären, anschaulich zu entkräften. Und gleichzeitig ein auf vielen Ebenen perfektes Beispiel geliefert, warum auch mit etablierten Medien wie dem Schweizer Fernsehen Vorsicht geboten ist.
Es muss ein Bauer her
Unter den Gästen war denn auch der umstrittene Historiker Daniele Ganser. Umstritten ist er deshalb, auch wenn er das nicht gerne hört, weil er sich seit Jahren unbequemen Fragestellung widmet und diese Fragen wissenschaftlich erörtert.
Insbesondere die wissenschaftliche Untersuchung von 9/11 hat Ganser in erhebliche berufliche Schwierigkeiten gebracht, weil es offensichtlich nicht statthaft ist, sich solchen Fragen wissenschaftlich als Historiker zu widmen. Zu schnell gilt man als Verschwörungstheoretiker.
Wenn Ganser jedoch etwas nicht ist, dann ein Verschwörungstheoretiker. Denn er stellt die logischen Fragen, lässt sich aber nicht zu Theorien hinreißen.
Die Aluhut-Fraktion
Wer sich jedoch mit unkonventionellen Fragen auseinandersetzt und darüber publiziert, zieht ebendiese Verschwörungstheoretiker an wie das Licht die Mücken. Das musste ich selbst in abgeschwächter Form schon auf die eher harte Tour lernen, als ich über das «Bedingungslose Grundeinkommen» schrieb und durchblicken ließ, dass ich es zumindest als passable Lösung für die Zukunft betrachte.
Am Tag nach der Publikation des Artikels hatte ich das Postfach voll mit Mails von Leuten, welche mir gratulierten, dass ich gegen das Establishment, gegen die Reichen, gegen die Unterjochung, gegen die Bilderberger und überhaupt gegen was alles (mit-)kämpfe.
Nichts von alledem habe ich im Artikel portiert und schon gar nicht ist das mein Weltbild oder Einstellung. Solche Fans hat man dann trotzdem, ob man will oder nicht. Ganser hat davon eine regelrechte Armee.
Mit der «Lügen- oder Lückenpresse» ist es dasselbe. Es gibt eine ganze Armada an Leuten, die denken, dass sich die Mainstream-Medien, also alle ernstzunehmenden Medien, in einer Art großen Verschwörung zur Steuerung der Massen vereint hat. Und alle Bürger Opfer eines groß angelegten Manipulationsversuchs sind.
Das ist natürlich Quatsch. Nein, es gibt keine Verschwörung und das was Trump Lügenpresse (Fake-News) nennt, existiert schlicht und einfach nicht. Kommt drüber weg.
Der Bauer wird geopfert
Das heißt jedoch noch lange nicht, dass Medien nicht manchmal Fehler machen, Dinge bewusst oder unbewusst weglassen oder verzerrt darstellen.
In dieser «Arena» vom 24.02.2017 wurde perverserweise gerade dieser Ganser zum besten Beweis, dass es eben doch auch passiert. Das kam so:
Ein paar Minuten nach dem Sendungsstart packt der Moderator der Sendung praktisch aus dem heiteren Himmel einen Tweet Gansers auf den Screen, in dem sich dieser über eine andere Sendung, «Einstein», vor ein paar Tagen beschwert, in der auch seine Arbeit zu 9/11 gefeatured wurde. Zentral dabei ist, dass der Beitrag offensichtlich zuerst für sich (resp. im Mix mit komplett anderen Beiträgen) hätte gezeigt werden sollen. Später aber mit Beiträgen über Verschwörungstheorien in der Sendung gemischt wurde.
Somit wurde auch der Beitrag über Gansers Arbeit in die Ecke der Verschwörungstheorien gerückt. Und darüber regt sich ein geplagtes Kind wie Ganser natürlich auf. Und, in dem Punkt unterscheidet er sich dann paradoxerweise auch nicht von Trump, mit markanten Worten auf Twitter klarstellt: Wie daneben und unfair das Schweizer Fernsehen doch sei.
Diese Steilvorlage liess sich die Redaktion von «Arena» natürlich nicht entgehen und filetierte Ganser regelrecht, in dem sie gleich darauf einen Auszug aus einem Mail von Ganser an den Redakteur von «Einstein» zeigte, in dem Ganser den Beitrag in der Sendung an sich als fair und sachlich bezeichnet. Was nicht gezeigt wird, ist der dieser Mail vorhergehende Mailverkehr und ein zweiter Satz in der Mail, in welchem Ganser den Mix der Themen als schlecht bezeichnet.
Sie merken, das Ganze ist so „Detail-beladen“, dass es undurchsichtig wird.
Ganser stand also mit abgesägten Hosen in der Sendung und niemand gab ihm die Möglichkeit seine Version des Sachverhalts zu schildern. Wie auch… Es hätte ja mindestens 5 Minuten gedauert. Und die hat man in einem solchen Format schlicht nicht.
Medien, insbesondere News ist immer auch Showgeschäft
Was viele vergessen ist, dass News ein Geschäft und, präziser, ein Showgeschäft ist. Journalisten unter Ihnen werden nun stöhnen, das sei unter ihrer Arbeitsmoral. Spätestens wenn man aber darauf aus ist, Quoten zu machen und Auflagen zu steigern, ist eine gute Geschichte alles. Seit das traditionelle Medien-Geschäftsmodell bröckelt, sind schlichtweg alle darauf aus. Das sieht man schon nur, wenn man sich die «Click-Baits» der selbst großen etablierten Häuser ansieht.
Wenn man also durch bewusstes oder unbewusstes Weglassen eines kleinen jedoch entscheidenden Teils eine großartige Geschichte bringen kann, dann macht man das auch. Das ist nicht toll, hat aber nichts mit einer großen all-umspannenden Verschwörung zu tun. Es ist Business. As usual.
Kritisch sein, ist (fast) immer gut
In der ganzen Debatte werden Vertreter der traditionellen Medien nicht müde zu betonen, wie wichtig es sei, die kritischen Fragen zu stellen. Zu kritisch dürfen aber Sie nicht sein:
Ganser hat 9/11 untersucht wie praktisch kein anderer auf dem Planeten und es gibt wissenschaftlich fundierte offene Fragen. Das scheint aber nicht interessant zu sein. Roger Schawinski, Vertreter der etablierten Medien, klatscht Ganser in der Sendung sogar ins Gesicht, «dass 9/11 abgeschlossen und geklärt» sei. Eine kritische Haltung sieht anders aus.
Und wenn Ganser in der Sendung die Anzahl Bomben die ein US Präsident auf fremde Länder niederregnen lässt, sozusagen als faktischen Gradmesser für die Vergehen einer US-Administration portiert, dann wirkt das auf den ersten Blick wein wenig lächerlich.
In Tat und Wahrheit ist das aber erstaunlich konsequent zu Ende gedacht. Und die darauf abstellende Frage an die Medien, warum diese in den letzten Jahren Obama nie stark dafür kritisierte, ist legitim.
Nein, sie ist sogar von jener kritischen Grundhaltung, die sich die Vertreter der etablierten Medien immer so gerne auf die Fahne schreiben.
Umbruch der Medienlandschaft und Umbruch der Kommunikationskultur
Ich bin auch der Meinung, dass es die traditionellen Medien in Zukunft unbedingt braucht. Aber ihre Rolle wird in Zukunft eine andere sein.
Das Internet hat unsere Meinungslandschaft vielfältig gemacht. Unsere Gesellschaft muss erst lernen damit umzugehen und das volle Potential davon zu nutzen. Wir sind, wenn Sie so wollen, mitten in der Stormingphase.*
Die Königsdisziplin ist wohl, differenziert zu beleuchten und einzuordnen und auch Stimmen zu Wort kommen zu lassen, welche einem gerade nicht ins (journalistische/politische) Konzept passen. Das gilt sowohl für Medienhäuser, private Publizisten, unter welche Sie gerne all die Blogger zählen können, und es gilt insbesondere für staatliche Exponenten.
Darum ist Trumps Vorgehen total falsch und so gefährlich. Er provoziert damit die Medien Berichterstattung als Krieg zu verstehen. Sobald das geschieht, hat er leichtes Spiel: Er kann den Bias aufdecken und hat dann faktisch sogar Recht.
Differenziertheit und Contenance als «Waffe»
Es bleibt zu hoffen, dass die Medienschaffenden nicht drauf hereinfallen. Das Gegengift, sozusagen, ist eine differenzierte Berichterstattung und eine gesunde Gelassenheit. Damit kann Leuten wie Trump, die es ja überall in kleinerem Ausmass gibt und auch schon immer gab, das Handwerk gelegt werden. Dummerweise lässt sich mit Differenziertheit und Contenance aber kein (Medien-)Geschäft machen.
Ich stelle mir die «Click-Bait» vor: «Trump hat ein wenig Recht, aber dann auch wieder nicht. Aber wir müssen das in einem grösseren Kontext sehen» Damit lockt nicht einmal der Deutschlandfunk seine Hörer, zu denen ich gehöre, hinter dem Kamin hervor. Nein, es muss knallen. Dann läuft der Laden. Leider.
Neue Geschäftsmodelle
Auch darum ist so wichtig, dass neue Medienhäuser mit neuen Konzepten entstehen und diese sich hoffentlich auch neue Geschäftsmodelle einverleiben. Nur so können die Medien als 4. Gewalt in der Gesellschaft bestehen bleiben. Ich sehe da allerdings eher schwarz. Viel zu wenig Bewegung ist bislang aufgekommen. Tierfutter zu verkaufen, mag zwar vielleicht ökonomisch geschickt sein. Mit der gesellschaftlichen Funktion der Medien hat es allerdings nichts mehr zu tun.
An diese Stelle tritt eine Armada von privaten Publizisten und Nischenformaten. Auch wenn dies das Dilemma der 1000-nicht-vertrauenswürdigen Quellen erhöht, ist es unter dem Strich doch eine positive weil diverse Entwicklung. Wir müssen als Gesellschaft, wie gesagt, nur noch lernen damit umzugehen.
(* Und „Scrummaster“ Donald hat sich entschieden eine Eskalation zu fahren)
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2 Antworten auf „Von wegen Lügenpresse – warum wir an Undifferenziertheit leiden“
…hat mich die Autokorrektur , wieder einmal, ausgetrickst. Hatte natürlich unterstreiche geschriebenen. Bin ja nicht pluralis majestatis.
…lesens- und bemerkenswert. Unterstreichen den Artikel voll inhaltlich.