In einer Retro vor ein paar Monaten hatten mir ein Teil meines Teams attestiert, ich hätte ein „unmenschlich hohes Level an Produktivität“ (was auch immer das genau heißen mag…) in den Dingen, die ich tue. Und; ich solle doch mal für alle aufzeigen wie ich mich organisiere und wie ich das mache. Ich habe dann eine interne Präsentation über alle Firmen, in denen ich tätig bin, aufgesetzt und – oh schöne Ironie – es nicht hingekriegt den Termin zu machen, weil ich immer wieder etwas anderes wichtiger fand. Dieser Artikel hier ist also so eine Art Service-Artikel für unsere Teams.
(Lesedauer 5 Minuten)
Vom Umgang mit Druck, Belastung und Erschöpfung
Jeder Mensch reagiert anders auf Druck, Belastung und dem Umgang damit. Grundsätzlich gilt, so glaube ich, Stress hat man nicht, man macht ihn sich selbst. Als einer der Hauptursachen für Stress wird oft mangelnde Zeit genannt.
Was viele Leute als Zeitmangel wahrnehmen, ist in Tat und Wahrheit aber ein fehlender Überblick über die Wichtigkeit und der Dringlichkeit einzelner Aufgaben. Wenn ich eine große Anzahl von Aufgaben habe und nicht weiß welche ich wann und wie angehen muss, entsteht Unsicherheit. Bin ich in diesem Zustand der Unsicherheit unter Lieferzwang, werde ich gejagt von plötzlich reinplatzenden Deadlines, von Zeiten, die nicht aufgehen.
Disziplin und Ordnung
Um dem beizukommen setzte ich seit Jahren auf ein System von Disziplin und Ordnung. Das tönt erstmal ziemlich altbacken und dröge. In der Tat hilft es mir aber enorm zu wissen, auf was ich mich gerade konzentrieren muss. Ich glaube ich kann einer Sache immer nur ein begrenztes Maß an Aufmerksamkeit entgegenbringen.
Disziplin & Ordnung schlägt Leidenschaft um Längen. Sorry.
Je weniger ich mich also um die Koordination der Aufgaben kümmern muss, desto mehr kann ich mich auf die eigentlichen Aufgaben selbst kümmern. Sprich wenn ich eine Aufgabe angefangen habe und daran arbeite blende ich in innerer Ruhe sprichwörtlich alles andere aus.
Das System ist ganz simpel: Ich nehme das Schaffen von Ordnung als Aufgabe wie jede andere wahr. Und ich versuche so diszipliniert in der Abarbeitung der Aufgaben wie möglich zu sein. Das heißt, ich mache nichts anderes als was ich mir als Aufgaben vorgenommen habe.
Planung als Lifestyle
Ich glaube viele verstehen Planung heute als etwas schlechtes und haben falsche Vorstellungen davon was das Ziel von Planung ist. Ich denke das Aufstellen eines Plans, sei das in großen oder kleinen Dingen, hat nicht den Zweck etwas nachher genau wie geplant – sozusagen auf Teufel komm raus – durch zuziehen., sondern eine mögliche Variante einer Umsetzung aufzuzeigen.
Everybody has plan, until they get punched in the face.
(Mike Tyson)
Dabei geht es vielmehr darum zu verstehen wie die Prioritäten und Abhängigkeiten der Aufgaben sind. Den Impact eines Arbeitsergebnisses abzuschätzen. Kurzum sich ein Bild zu machen.
Don’t panic!
Dass sich Prioritäten ändern ist ganz normal. Dass Dinge dazwischen kommen auch. Sich auf diese Dinge emotional zu investieren ist daher völlig sinnlos, also kann man es lassen. Es ist enorm wichtig sich dadurch nicht aus der mentalen Ruhe bringen zu lassen. Ich glaube ganz generell, dass Leute, welche sich leicht aus der Ruhe bringen lassen, viel öfter verlieren und ein vergleichsweise mühsames Leben führen.
Auch wenn ziemlich verrückte Dinge passieren – gute wie schlechte – (und ja auch die passieren leider doch öfter als mir lieb ist) sage ich mir einfach «Don’t panic» und ignoriere sie meist einfach erstmal. Ich bin dadurch in vielen kritischen Situationen funktional geblieben und konnte unmittelbar mit der Situation recht gut umgehen. Das wichtigste daran ist, dass so die Urteils- und Handlungsfähigkeit viel weniger eingeschränkt wird.
Örtliche Trennung von Ruhe- und Teamarbeit
Meine Aufgaben bringen es mit sich, dass doch recht oft etwas in Ruhe ausarbeiten muss. Dafür habe ich mir frühmorgens (bin ein ausgeprägter Morgenmensch) 3-4 Stunden reserviert, die ich konsequent nutze. Später am Morgen, meist um 9:00 Uhr, stoße ich zu einem der Teams und kümmere mich dort um meine Team-Aufgaben. Diese Trennung der beiden Arten von Arbeit hat enorme Vorteile für mich gebracht.
Praktischer Ansatz
Soviel zur Theorie und Vision. In der Praxis besteht mein persönliches Organisations-Toolkit aus einem simplen Kanban-Board (Trello). Dieses ist eingeteilt in “Backlog”, “This Week”, “Tomorrow”, “Today-Ruhearbeit”, “Today”, “NOW”, “Waiting for others”, “Done”, ”Next Week” (v.l.n.r).
Auf diesem Board plane ich meine Woche, die nächsten Tage und den eigentlichen Tag bewusst. Sprich das letzte was ich am Vortag mache, ist die Aufgaben für den nächsten Tag zusammen zu stellen. Dasselbe mache ich in der Regel am Sonntagabend für die gesamte Woche. Jede Aufgabe, jede Idee schlicht alles was mir einfällt kommt aufs Board. Und ich entscheide in der Planung bewusst wie wichtig die Aufgabe ist. Wenn sie so wichtig ist, dass ich sie direkt erledigen muss, fliegt eine andere Aufgabe aus der Tagesplanung. Wenn ich Aufgaben nicht in nützlicher Frist erledigen kann, informiere ich meine «Peer» per E-Mail.
Die Spalte „NOW“ enthält die jeweilige Aufgabe, an der ich jetzt dran bin (im Moment gerade «Blog AV»). Wenn ich das jemandem zeige, werde ich oft ein wenig belächelt, das sei enorm viel Aufwand, ein wenig kindisch. Ich denke das ist es nicht; zum einen ist es immer ein gutes Gefühl eine Aufgabe auf «Done» zu stellen (ok, aber das ist wirklich kindisch), auf der anderen Seite wird man oft aus der Aufgabe herausgerissen durch Telefonate etc und findet nur schlecht zurück.
Möglichst schnell wieder in die Aufgabe einzusteigen, an der man bereits dran war, ist essenziell. Ich beobachte oft, dass Leute nach einem Unterbruch, erstmal etwas ganz anderes machen um dann wieder zur eigentlichen (priorisierten) Aufgabe zurückzufinden. Das ging mir früher nicht anders. Der Zeitverlust dadurch ist immens.
15 Minuten Taktung
Ich habe für mich festgestellt, dass eine Taktung des Tagesplans in 15 Minuten-Blöcke für mich am besten funktioniert. Das hat wohl sehr viel mit der persönlichen Präferenz und der Art der Arbeit, die man ausführt zu tun. Ich versuche, wenn immer möglich Aufgaben mit einem Vielfachen der Standardtaktung im Block Ruhearbeit zu erledigen. Diese Taktung ist wichtig, um Aufgaben intuitiv einzuschätzen. Die Taktung gibt auch die Anzahl maximal möglicher Aufgaben, die pro Woche theoretisch erledigt werden können, vor.
Ich kümmere mich im Schnitt rund 80h pro Woche um meine Firmen, die maximale Anzahl theoretisch möglicher Aufgaben liegt also bei 320 pro Woche. Abzüglich Reisezeit und verlorene Zeit bleibt praktisch wohl Raum für rund 250 kleinteilige Aufgaben pro Woche. 217 habe ich bereits einmal geschafft. Diese Mengengerüste zu kennen ist enorm wichtig damit man sich selbst nicht über- oder unterfordert.
Reisezeit = Arbeitszeit
Ein weiterer wichtiger Punkt ist auch, unproduktive Zeit möglichst produktiv zu nutzen. Meine Engagements bedingen viel Zeit auf Achse (gut 15-25h pro Woche, hauptsächlich in der Bahn). Diese Zeit nutze ich konsequent. Manchmal ergibt sich zwischen dem Umsteigen von einer Bahn in die andere nur das Schreiben eines halben E-Mails. In der Summe nutze ich damit aber viel Zeit, welche sonst einfach „abgewartet“ würde. Schlussendlich ist es reine Gewöhnungssache.
Nein sagen und nichts tun
Obwohl eine Binsenwahrheit, ist es doch hier anzumerken. Die Beste Art effizienter zu werden ist, Dinge komplett wegzulassen. Im Laufe der Zeit habe ich gelernt messerscharf wichtige von unwichtigen Dingen zu trennen und meine Energie so zu investieren, dass ich möglichst immer das tue, was meinen langfristigen Zielen dient. Darum plane ich auch Meetings radikal um, wenn andere Dinge wichtiger werden. Das ist oft nicht angenehm für mich und mein Umfeld, sorgt aber dafür, dass ich in den Dingen, die ich mache, meist wirklich mental anwesend bin.
Wie weit man es mit der persönlichen Effizienz treiben will ist jedem und jeder selbst überlassen. Das ist Fluch und Segen gleichermaßen: Ein Segen, weil jeder Mensch unterschiedlich funktioniert und eine andere Einstellung hat, ein Fluch, weil viele Menschen kein Bewusstsein dafür haben was sie mit Ihrer Zeit anfangen. Das ist ja nicht auf den geschäftlichen Bereich limitiert. Mein Drang mich möglichst gut zu organisieren ist dem Bewusstsein geschuldet, dass meine verbleibende Zeit enorm begrenzt ist. Was daraus für mich in der Wahrnehmung entsteht, ist ein Gefühl wirklich viel Zeit zu haben. Und am Ende geht es uns allen glaube ich genau darum.
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3 Antworten auf „Service-Post: Wie steigere ich die persönliche Produktivität?“
Vielen Dank für diesen anregenden EInblick in deine Arbeitsmethodik.
Was mir als übergeordnete Erkenntis durch den Kopf gegangen ist: Das Wichtigste ist die laufende Selbstreflexion, um die Methodik den eigenen Stärken, Schwächen und Bedürfnissen anzupassen.
Und was ich persönlich mitnehme ist die „NOW“-Liste. Habe die gleich auf meinem Board eingerichtet.
Hallo Alain,
vielen Dank für deine Einblicke.
80h ???
Mich würde interessieren wieviel davon selbst- und wieviel Fremdbestimmt sind?
Wenn ich zumindest einen „Freien Tag“ abziehe, komme ich da auf über 13h pro Tag.
Schon anstrengend
Viele Grüße,
Sali Alain
Spannender Beitrag, danke für die Insights.
Ich hätte 2 Fragen dazu:
a) Wie gehst du mit den längerfristigen Themen um ? Hier sehe ich kein Gefäss dafür in deinem Board.
b) Wie gehst du mit Meetings um, sind diese ebenfalls in deinen Tages-Tasks enthalten ?
Danke und Gruess
Dani