Um es gleich vorweg zu nehmen, natürlich brauchen Sie eine Strategie, welche digitales behandelt. Anstatt diese jedoch als Digitalstrategie zu deklarieren, sollten sie ganz einfach die digitalen Veränderungen in Ihre Unternehmensstrategie einbeziehen. Warum lesen Sie im nachfolgenden Artikel.
(Lesedauer 4 Minuten – English version here)
Noch viel zu oft wird das Digitale in einer Unternehmung als Sparte, als Kanal, als Disziplin behandelt. Entsprechend wird es auch organisiert: Mit eigenen Abteilungen, eigenem Personal und eigenen Ressourcen. Das treibt mitunter Blüten, die einem bei nüchterner Betrachtung doch ein wenig ratlos machen. Wäre es zum Beispiel nicht besser, anstatt ein separates eCommerce-Team aufzubauen, dem bestehenden Sales-Team eCommerce Skills hinzuzufügen (Training oder Zu-Einstellung)? Oder dem bestehenden Marketing-Team Online-Skills beizubringen, anstatt ein gesondertes Online-Marketing-Team aufzubauen? Die Bildung solcher Inseln ist brandgefährlich für die Entwicklung einer Unternehmung, weil sie „Management Debt“ schafft. Man fördert damit unterschiedliche Kulturen in den Teams, unterschiedliche Leistungen am Kunden und unnötige Reibungseffekte zwischen dem traditionellen und dem zukunftsgerichteten Geschäftsmodell.
Woher kommt das?
Eine solche Entwicklung beginnt bereits bei den strategischen Überlegungen einer Unternehmung. Meist sind diese langfristig angelegt und old-economy-mässig erarbeitet. Mit der Zeit bemerkte man, dass die Kunden ein verändertes Verhalten an den Tag legen. Dass sie plötzlich vieles digital machen möchten. Dass sie viele Informationen haben, die ihnen das Leben einfacher machen. Anstatt nun den Strategieprozess so schnell wie möglich wieder aufzunehmen und die Unternehmensstrategie anzupassen, wurde (und wird leider noch immer) flugs eine Digitalstrategie definiert. Diese Strategie wird dann als Wurmfortsatz (mit meist himmeltraurig zu tiefem oder zu hohem Budget) in die Tat umgesetzt und siehe da, plötzlich ist es ganz logisch, dass es ein separates eCommerce Team im Unternehmen gibt. Gut ist es darum immer noch nicht.
Die Sache mit den Begriffen
Nun ist ja „Digitalstrategie“ ein Begriff, den es so eigentlich gar nicht gibt. Weder Wikipedia noch Duden führen ihn. Im Beratersprech und unter den CEOs und CMOs wird er jedoch oft verwendet. Was ich gelegentlich antreffe, ist, dass die mit der Digitalstrategie eigentlich die Transformationsstrategie gemeint ist. Ein Strategiepapier also, das beschreibt wie der Rückstand im Digitalen Bereich aufgeholt werden kann.
Was ist zu tun?
Die digitale Revolution ist zu umfassend, als dass ihr mit einer Nebenstrategie genüge getan würde. Sie umfasst fast alle Unternehmen grundlegend und verändert die Erfolgsparameter der Geschäftsmodelle. Ich plädiere daher dafür, dass Sie nicht eine Digitalstrategie erarbeiten, sondern Ihre Unternehmensstrategie überarbeiten.
Die digitalen Aspekte Ihres Business gehören in die Unternehmensstrategie.
Wenn sich das Verhalten Ihrer Kunden grundlegend ändert, dann gehört auch die Unternehmensstrategie grundlegend geändert. Eigentlich ganz einfach. Trotzdem tut man sich damit gerade in grösseren Unternehmen schwer. Das ist nicht weiter verwunderlich, waren bis jetzt 3-5 Jahresstrategien, vereinzelt sogar 7 oder 10 Jahresstrategien befolgt worden, ist es heute angezeigt, alle 18 Monate die Strategie grundlegend zu überarbeiten. Es ist der Endkunde, also wir alle, die diesen Takt vorgeben, auch wenn einzelne so tun, als wäre das ein unbeeinflussbares „Phänomen unserer Zeit“. Wir sind es, die immer mehr fordern, weil wir ein immer bequemeres Leben führen möchten.
Ich kann also nur raten, dass Sie sich die digitalen Aktivitäten Ihrer Kunden genau ansehen. Auch Details, welche Sie auf den ersten Blick als unwesentlich einschätzen. Lassen Sie diese Änderungen einfliessen. Nicht weil, wie manch Berater den Kunden weismachen will, das ganze Geschäft gefährdet wäre, sondern weil sich enorme Chancen auftun. Diese Art von zukunftsgerichteter Einstellung sind Sie Ihrem Unternehmen schuldig. Wie Sie diese Strategie nennen, ob jetzt Unternehmensstrategie, Transformationsstrategie oder meinetwegen halt Digitalstrategie, ist für mich trotz allem unerheblich. Ich bin froh, dass Sie sich überhaupt dem Thema annehmen.
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Eine Antwort auf „Nein, Sie brauchen keine Digitalstrategie.“
Sehe ich anders! Ein wichtiges Element, um vernetzte Kommunikation und Information nicht nur in einzelnen Prozessen und Geschäftsbereichen nutzen zu können, sondern über alle Bereiche hinweg, bietet idealerweise eine Digitalisierungsstrategie für das gesamte Unternehmen. Die Digitalisierungsstrategie dürfte je nach Unternehmen unterschiedlich ausgestaltet sein, kann aber z.B. dazu beitragen, dass Softwareanwendungen aus einzelnen Bereichen (z.B. Produktion und Logistik, oder Kundenservice und Qualitätsmanagement) miteinander vernetzt sind.
Andere Beispiele sind systematische Schulungen für alle Mitarbeiter des Unternehmens oder die kontinuierliche Prüfung von Einsatzmöglichkeiten neuer Anwendungen. Eine explizite strategische Auseinandersetzung mit dem Thema Digitalisierung stellt außerdem die Chance dar, IT nicht nur als Kostenfaktor, sondern als Basis für Innovation zu sehen!
Leider verfügen aktuell jedoch gem. einer aktuellen Studie der ZEW aus 08/2016 erst gut ein Fünftel der mittelständischen Unternehmen in D über eine solche Strategie. Das Fehlen einer Digitalisierungsstrategie in vielen mittelständischen
Unternehmen deutet damit auf die offensichtlich große Diskrepanz zwischen dem in den Medien diskutierten Wettbewerbsdruck durch Digitalisierung und dem bisherigen Unternehmensalltag hin.
Insofern kommt deinem letzten Satz enorme Bedeutung zu: “ Ich bin froh, dass sie sich überhaupt dem Thema annehmen“ und damit auseinandersetzen.