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Digital Transformation

Die Zukunft der «Zukunft»

Noch vor ein paar Jahren gehörte es zum guten Ton eines jeden Beraters, am Ende des Jahres für das nächste Jahr eine Liste mit den 10 oder 20 wichtigsten Trends zu veröffentlichen. Die Qualität dieser Listen variierte jeweils enorm stark. Während die einen enorm sorgfältig abgewägt und recherchiert wurden, bildeten andere ein banales Sammelsurium von Wünschen, Ängsten und „Erkenntnissen“ ohne wirkliche Grundlage. In der Zukunftsforschung, so scheint es mir, geht es ganz ähnlich zu und her.

(Lesedauer: 4 Minuten)

Starke Nachfrage nach Antworten auf die Frage nach der Zukunft

Anders kann ich mir es nicht erklären, dass ich als Nicht-Futurist mittlerweile in schöner Regelmäßigkeit ganz offizielle Anfragen zur konkreten Zukunft von Branchen und sogar spezifischen Unternehmen erhalte und so in der Regel auch alle zwei Wochen entsprechende Referate halte.

Zum einen ist das natürlich in gewisser Weise eine, ja man muss es so schreiben, Ehre. Auf der anderen Seite empfinde ich das auch als gefährlich. Das liegt daran, dass es meine Einschätzungen sind. Ich gehe dabei systematisch vor: ich versuche als Outsider möglichst wenig von der gewohnten Sichtweise einer Branche oder Unternehmen einzunehmen und konzentriere mich auf die die Entwicklung treibenden Prinzipien.

In der Folge schäle ich mich gedanklich hinunter auf das erste erkennbare Prinzip und versuche aus der vergangenen Entwicklung dieses „Prinzips“ für die Zukunft abzuleiten, wie hoch die Chancen für einzelne Entwicklungsszenarien sind. Das ist eine Gedanken- und meist auch eine Rechercheübung. Je mehr Zeit man investiert, desto mehr kann man verschiedene Entwicklungen ausschließen und umso belastbarer werden die daraus erarbeiteten Thesen. Meist decken sich diese nicht wirklich mit der gängigen Meinungen der Branchenvertreter. Mehr dazu später im Text.

Da ich diese Dinge ja als Hobby und «Sideproject» mache, ist die Lücke zwischen dem was man jeweils machen könnte und dem was ich jeweils tue relativ groß. Es reicht aber in der Regel, um verschiedene belastbare Szenarien aufzeigen zu können und auch eine gewisse vertretbare Empfehlung in Form eines Referates abgeben zu können. Ich denke, ich gebe auf diese Weise vielen Entscheidungsträgern zumindest für sie wertvolle Inputs. (Zumindest schreiben Sie, liebe Leser/innen, mir das täglich.) Mehr ist da aber nicht.

Der Futurist

Als ich letzthin auf einer Veranstaltung in Berlin als Futurist für mein Referat angekündigt wurde, musste ich schon ein bisschen leer schlucken. Ich bin wohl vieles, aber ein Futurist bin ich sicherlich nicht. Ich kenne genug Futuristen, die nichts Anderes machen, als schon ein wenig abgetretene Ideen der Zukunft in Referaten weiter zu geben. Das ist sicher inspirierend und visuell grandios. Und ich kenne Zukunftsforscher, die sich, meist auf soziologischer Ebene, mit zukünftigen Herausforderungen beschäftigen. Wie immer gibt es darunter gute und weniger gute Vertreter.

Dass ich so oft zu globalen Treibern angefragt werde, zeigt aber auch, wie schlecht dieser Bereich abgedeckt ist. Und bei genauerer Betrachtung stimmt das auch. Konventionelle Unternehmensberater repetieren, was sie da und dort in Studien aufgeschnappt haben und was sich als Konsens durchgesetzt hat. Das sind „Bestätigungspredigten“. Wahre Beratung beginnt aber meist dort, wo sie einem das Mandat kosten kann.

«If a trend becomes obvious – you are too late»

Der Satz hat meine gesamte Arbeit in den letzten Jahren maßgeblich geprägt. Er soll ursprünglich von Elon Musk stammen, was ich aber bezweifle. Denn in der Beurteilung der technologischen Entwicklung und der Reaktion als Business darauf spielt er eine entscheidende Rolle.

Interessanterweise sind viele Menschen unfähig, aus eigenen Analogien auszubrechen und auf die verfügbaren Daten dahinter so zu sehen, wie sie dastehen. Auch wenn man immer in gewisser Weise interpretiert. So schwierig ist das gar nicht. Es ist nur aufwändig. Ich behaupte denn auch, auf die meisten Fragestellungen, welche sich für Unternehmen in strategischer Hinsicht auf die nächsten 2 Jahre ergeben, lassen sich Antworten mit erstaunlich guter Sicherheit geben. Und das sind immer Fragen um die „Zukunft“.

Man kann die nahe Zukunft, wenn Sie so wollen, viel besser voraussagen, als man denkt. Denn es kommt wohl anders als man denkt. Das liegt aber hauptsächlich eben daran, dass die meisten Leute in Analogien denken. Verstärkt wird dieser Effekt zusätzlich dadurch, dass viele Jahre Branchenerfahrung sozusagen einen neuen Realitätshorizont schaffen, der meist mit den realen Gegebenheiten nicht so viel zu hat. Das hat damit zu tun, dass wir uns im Laufe der Zeit Erfahrungswerte einverleiben und diese als auch für die Zukunft gültig halten. In Tat und Wahrheit verändern sich die technischen Möglichkeiten aber laufend (und immer schneller) und werten so diese Erfahrungen ab.

Exponentielles Dingsbums

Ray Kurzweil ist bekannt dafür, mit seinen Vorhersagen eine verblüffende Trefferquote aufzuweisen. Ein Teil davon ist Show und Vermarktung. Was er aber macht, ist im Grunde genommen sehr simpel: Er sucht Wachstumspattern einer technologischen Entwicklung und projiziert diese in die Zukunft und leitet daraus seine Aussagen ab. Das ist weder Rocket-Science noch göttliche Vorhersehung, sondern gesunder Menschenverstand und Extrapolation. Entlang der Beobachtung und Überzeugung, dass technologischer Fortschritt gesamthaft exponentiell verläuft.

ThinkTank

Vor ein paar Wochen haben mich dann direkt 4 Leute in einer Woche unabhängig darauf angesprochen: ich solle doch einen ThinkTank gründen. Ich musste erstmal googeln. Noch etwas Zusätzliches gründen kriege ich meinem Umfeld nicht ohne weiteres durch. Aber durchaus ein interessanter Gedanke.

Und der hat mich ein wenig weiterdenken lassen in Bezug auf diese Zukunftsforschung und der großen Nachfrage von Unternehmen. Was wäre, wenn ich oder viel besser wir, in diese Erforschung der Daten viel mehr Zeit stecken, so viele Daten aggregieren und Muster daraus ablesen könnten, dass wir in der Lage wären, sehr kurzfristige, extrem belastbare, genaue Vorhersagen treffen zu können.

Zum Beispiel über die Strompreisentwicklung. Wer würde denken, dass verbesserte Glasherstellungsverfahren und stark fallende Batteriepreise die Treiber hinter einem zukünftig immer tiefer werdenden Strompreis sein werden. Und dass Buchhaltungsregeln auch eine gewichtige Rolle mitspielen. (Saubere Argumentationsketten bitte ins Kommentarfeld 😊 – zeige mich gerne für die beste erkenntlich)

Wenn man konsequent vorgeht und die notwendige Arbeit (und Geld) reinsteckt, sind meiner Meinung nach enorm gute Resultate möglich. Diese Resultate sind für Unternehmen bares Geld wert. Soweit der Business-Teil.

Zukunftsforschung 10.0

Ich glaube, das wäre eine Revolution für die Zukunftsforschung. Denn man verschiebt damit die Abschnitte des Liniengleichnisses. Und bringt so Zukunftsforschung weiter in eine Wissenschaftlichkeit (was sie heute, bei aller Liebe, de fakto meiner Meinung nach nicht ist)

Und wer hier liest, wird erahnen, dass es mir weniger darum gehen wird, ein Consulting-Business aufziehen, sondern das Ganze als eine Art Plattform für Micro-Fragen/Antworten auf die unmittelbare Zukunft in Unternehmen zu etablieren. Was das Ganze Unterfangen nur noch komplizierter machen würde. Aber man lebt ja schließlich nicht von Quickwins…

Wenn also jemand herausragende Big Data / Statistik / Mathematik / Desk Research – Skills und Lust darauf hat, hier neues Terrain zu betreten, sollten wir sprechen. Machine Learning haben wir ja schon im Haus. Und Lust auf die Zukunft. In jeder Hinsicht.

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Eine Antwort auf „Die Zukunft der «Zukunft»“

Hallo Alain, das sind gute Gedanken. Die future matters AG in Zürich ist genau so ein Think Tank. Hier wird nicht schnöde Trendforschung betrieben, sondern auf der Basis teils extrem komplexer Querbeziehungen und exponentieller Entwicklungen konkrete Tipping Points berechnet ;-)

LG
Oliver
(Head of Research & Corporate Foresight, Partner)

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