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Der CMS Markt, wie wir ihn kennen, wird verschwinden!

Vor ein paar Monaten habe ich einen Artikel über die aus meiner Sicht fehlenden Weiterentwicklung im CMS Markt geschrieben. Die Reaktionen darauf blieben nicht aus und offensichtlich sind Meinungen zu dem Thema gefragt. Da will ich mich mal nicht zurückhalten, da sich meine Meinung und Sicht auf den CMS Markt in den letzten Monaten verändert hat. In diesem Sinne ist das folgende eine Reprise des letzten Artikels.

(Lesedauer: 4 Minuten)

Ich habe im 2013 eine Masterarbeit mit dem klingenden Namen „Von Web Content Management zu Web Experience Management: Welche Herausforderungen ergeben sich für CMS Hersteller und Seitenbetreiber in den nächsten Jahren“ geschrieben (auf die ich zwar nicht gerade stolz bin, aber trotzdem den Zweck erfüllte). In der zusammenfassenden Handlungsempfehlung für WCM-Anbieter habe ich 2013 folgendes festgehalten:

Anbieter von WCM-Systemen sind gut beraten, sich von der traditionellen Vorstellung von Web Content Management Systemen zu lösen. Vielmehr ist die Anforderung möglichst umfassende Systeme zur Schaffung eines einheitlichen auf allen Devices und Kanälen durchgängigen Kundenerlebnisses im Web ins Auge zu fassen. Wer zugleich Core-Funktionalität intelligent löst, eine herausragende Autorenexperience bereitstellt und trotzdem als System für die Anbindung von Drittsystemen und der Einbindung von Fremdapplikationen offen bleibt, gewinnt Marktanteile und hilft seinen Kunden täglich besseres Business zu machen. Schwachstellen im System sind im Mindesten mit einer Fremdapplikationsintegration abzudecken.

Ich denke, so verkehrt war das gar nicht und noch immer ist es eine Art Cookbook, um im heutigen CMS Markt mitzumischen. Mit Blick auf die kommenden Jahre bin ich aber mittlere Weile zur Auffassung gelangt, dass die Herausforderung eine andere ist. Denn:

Der CMS Markt, wie wir ihn kennen, wird verschwinden.

„Warum denn das?“ werden Sie denken. Ganz einfach weil es keine reinen CMS Projekte mehr geben wird.

Der Enterprise-Bereich ist der generellen Entwicklung im Markt immer ein wenig voraus. Die Fragestellungen sind komplexer, der Erfolgsdruck ist grösser und auch die allozierten Budgets sind in der Regel (relativ) grösser. Mein berufliches Wirken dreht sich um die Projekte solcher Enteprise-Class Kunden (Global tätige Kunden mit Projekten >1’000 Personentagen). In den letzten 12 Monaten habe ich dabei keine einzige Anfrage betreut, die als konventionelles CMS Projekt zu taxieren wäre. Bei allen Vorhaben der Kunden stehen immer Prozesse, Funktionalitäten, Integration zu ERP und sonstigen Systeme und eCommerce im Vordergrund. Natürlich ist immer auch ein Teil Content Management dabei. Aber entscheidend ist dieser Teil nicht.

CMS wird zur Commodity.

Wenn ich sehe, wie die Digitale Transformation weiter voranschreitet und wie die Unternehmer nun erkennen, dass sie eine umfassendes Kundenerlebnis (online und offline) bereitstellen müssen, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir die bei den Enterprise Kunden beobachtete Entwicklung nicht auch bei mittleren und kleinen Kunden bald Einzug hält. Mit einem „Unternehmensauftritt“ oder einer „Marketingwebsite“ kommt man heute nicht mehr weit. Bei den zukünftigen „Webprojekten“ wird also der Anteil des konventionellen Content Management kontinuierlich sinken. Entsprechend sinkt auch die Relevanz von Content Management Systemen.

Was bedeutet das für die „Internetagenturen“

Ich denke eine Spezialisierung ist, wie aus anderen Gründen auch schon geschildert, unumgänglich. Die Spezialisierung kann entweder für verschiedene Branchen, wie auch für verschiedene Anwendungsfälle (Support von Business Use Cases) erfolgen. Zudem werden wir in den nächsten 24 Monaten eine Reihe von für uns noch neuen Anwendungsfällen des Internets für Unternehmen Einzug halten. Man denke z. Bsp. an Internet of Things und Wearables. Welche Rolle dabei CMS übernehmen werden, ist im Moment völlig unklar. Naheliegender ist indes, dass die Internetagenturen, wie wir sie kennen, in solch neuen Gebiete wachsen können. Zudem, und viel banaler, wechseln die Internetagenturen im Moment sowieso gerade ihr Tätigkeitsgebiet. War bis vor 1.5 Jahren der Löwenanteil vieler Agenturen der Bereich CMS, haben in den letzten 12 Monaten manche Agenturen vermehrt eCommerce Lösungen erstellt und in diesem Bereich Know-How aufgebaut.

Verschwindet der CMS Markt?

In meiner Masterarbeit schrieb ich als Schlussfolgerung nachfolgenden Text:

„Der Markt für Web Content Management Software scheint sich gerade fundamental zu verändern. Was früher ein klar abgesteckter Bereich darstellte, nimmt zunehmend immer grössere Anforderungskreise und damit Funktionsbereiche ein. Damit verwischen die Grenzen zwischen Web Content Management und anderer Geschäftssoftware zunehmend.

Während wir im Moment an der Schwelle zum Paradigmenwechsels des Web Experience Managements stehen, ist die nächste Entwicklung bereits absehbar. Es wird keine klassische Kategorisierung in Web Experience Management Software mehr geben, sondern es wird für die Firmen zunehmend eine Enterprise Experience Management Software sein.

Mit einer solchen Software wird ein generelles Front-End für sämtliche Prozesse, welche eine Interaktion mit den Stake Holdern erfordern. Sie könnte für die Unternehmen eine gleich hohe Bedeutung wie heute ERP Systeme einnehmen. Der entscheidende Unterschied zum ERP Systeme ist jedoch die Visibilität des Zustands der angebotenen Lösung, die immer geforderte Flexibilität für Anpassungen und der Zwang zur einfachen Integration von umliegenden Systemen. Eine schlechte Lösung ist, im Gegensatz zum ERP, direkt für den Kunden sichtbar und beeinflusst so die Akzeptant des Inhaltsanbieters. Weiter wird es nicht möglich sein, eine ähnlich (hohe) Kostenstruktur wie im ERP Bereich zu etablieren. Die Kunden sind hierzu schlicht nicht bereit und sind sich dies aus der Vergangenheit nicht gewohnt.

Das Umfeld dieser Enterprise Experience Software bleibt in kurzen Zyklen innovativ. Es ist absehbar, dass wir nur am Anfang einer noch viel tiefer greifenden Veränderung dieser Bereiche stehen.“

Wir sehen z. Bsp. bei Adobe und Acquia/Drupal einen Trend hin zu viel universellen Lösungen. Dries Buytaert schreibt dazu in seiner 2014 Retrospektive:

At Acquia, we help our customers by providing a complete technology platform and the support necessary to support their digital initiatives. The Acquia Platform consists of tools and support for building and managing dynamic digital experiences.

Content Management wird dabei mit keinem Wort erwähnt. Content ist gewissermassen, von wo man zu den wirklichen Herausforderungen startet. Content ist Commodity.

Aus vielen Gesprächen mit grösseren Agenturen weiss ich, dass viele eine ähnliche Sichtweise teilen. Für die Kunden wird indes die Plattform- und Technologiewahl zunehmend wichtiger. Sie setzt die Basis für den Einsatz von weiteren Tools. In dem Sinne wird die Herausforderung für Agenturen darin bestehen, auf die grundlegend „richtigen“ Plattformen aufzusetzen. Die Wahl des CMS ist dann schlicht nur noch eine Frage, inwiefern das Produkt in die Projektlandschaft passt.

Noch denke ich, ist nichts entschieden. Noch immer hat es Platz für einen totalen Newcomer, der mit einem massiven Investment den Markt komplett auf den Kopf stellt und wirklich neue Ansätze präsentiert. Das Zeitfenster schließt sich jedoch von Tag zu Tag weiter. Bleibt ein solcher neuer Player jedoch aus, werden wir diese Seitwärtsbewegung in Richtung Experience Plattform weiter sehen und ein paar CMS Vendors werden sich entsprechend weiterentwickeln. Es fragt sich nur welche.

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2 Antworten auf „Der CMS Markt, wie wir ihn kennen, wird verschwinden!“

Ja sehe CMS auch als Commodity, doch die grossen Hersteller gehen alle in Richtung „Marketing Suite“.

Adobe, Sitecore, SAP/Hybris usw. – alle bringen ihre Marketing Suite und decken dabei nicht nur CMS sondern auch Analystics, Campaigning, E-Mail Marketing, Targeting, zudem viele Schnittstellen und viel mehr ab. Das bedeutet wiederum für die Agenturen/Dienstleister, dass das Lösungsportfolio und -verständnis viel breiter werden muss – Full-Service wird quasi noch voller ;-)

Hallo Alain, Glückwunsch zum neuen Artikel! Grundsätzlich alles sehr korrekt, siehe Magnolia – welches seit Jahren das Thema „Digital Business Plattform“ besetzt, früher noch unter anderen Namen wie „Virtuelle Präsenz“. Der Begriff CMS ist leider nie klar umrissen definiert und zudem einem ständigen Wandel unterworfen. Wir bei Magnolia haben schon vor ca. 5 Jahren gesehen, dass 50% unserer damaligen Kunden keine klassische Webseite haben sondern ben digitales Geschäftswesen betreiben – man denke an Virgin Holidays oder Thomas Cook, aber auch viele unserer Banken und Versicherungskunden nutzen das Web als wesentlichen Bestandteil ihres geschäftlichen Daseins. Seit damals hat sich Magnolia auf diesen Bereich fokussiert und bietet heute eine ziemlich konkurrenzlose Plattform, um „Digital Business“ zu machen – mit Integrationen in alle Bereiche des Unternehmertums, und die Möglichkeit effizient omni-channel, multi-language, geographisch verteilt, skalierbare, per API abrufbar, mit einer Mobile App Backend-Platform zur benutzerspezifischen Anpassung und Verwaltung von strukturierten wie unstrukturierten Inhalten, etc pp. Ist das noch ein CMS?

Ja, CMS ist Commodity im Sinne von WordPress, Drupal…

Aber im Sinne einer Digital Business Platform ist ein CMS wie Magnolia heute das Herz des Digitalen Geschäftswesens. Und das Internet der Dinge (IoT) gehört da direkt mit dazu.

So gesehen stellt sich die Frage: von welchem CMS Markt redest du denn? Inhalte werden soweit absehbar weiterhin relevant sein, um Menschen Produkte zu verkaufen. Auch im Bereich Governance steigen die Anforderungen eher, als dass sie sinken; wie auch eine weitergehende Globalisierung es nötig macht, Systeme zu haben, die überall und von überall her für jedermann funktionieren – auf unterschiedlichen Devices.

Ich würde schliessen: der CMS Markt bleibt ungemein spannend; die Anforderungen wachsen und Newcomer werden weiterhin versuchen, auf tolle Weise spezifische Probleme zu lösen – aber der Weg von einem Contentful oder Grid zu einem Magnolia ist lang und steinig – wie heisst es doch: „Gute Software zu schreiben dauert 10 Jahre“. Das ist immer noch so.

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