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Digital Transformation

Das Digital Transformation Hemmnis.

Auch wenn ich eigentlich immer weniger gerne darüber spreche, bekomme ich doch viele Fragen dazu, warum etablierte Unternehmen die technologisch bedingten Veränderungen in ihrem Umfeld regelmäßig verpassen und in den Hinterhalt geraten. Oft wird dabei auf das „Innovators Dilemma“ verwiesen. Das greift in der heutigen Zeit meiner Meinung nach jedoch zu kurz.

(Lesedauer: 4 Minuten)

Kann ja eigentlich nicht sein

Es erstaunt schon immer wieder, dass etablierte, große Unternehmen langfristig angelegte Veränderungen nicht zu erfassen scheinen und immer mehr ins Hintertreffen geraten. Ich denke wir sehen das immer „schöner“ am Beispiel der deutschen Automobilindustrie – dem aktuellen Lieblings-Anschauungs-Objekt eines jeden Beobachters wirtschaftlicher Umwälzungen.

Wer die Entwicklung in den letzten 2 Monaten verfolgt hat, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Sämtliche deutschen Automobilhersteller haben große technische Probleme, können die von ihnen mit abgesegneten Richtlinien nicht einhalten, müssen die Markteinführung von Elektroautos verschieben, können die bestehenden Elektroautos nicht in der bestellten Quantität liefern, sind in der „falschen Technologie“ – die des Diesels – massiv investiert, müssen da aber raus und setzen den Verkauf von Neuwagen aus, weil sie es nicht hinbekommen, die Wagen nach den neuen Vorschriften zu zertifizieren.

Auf der anderen Seite sieht man Tesla – unter journalistischem Dauerfeuer zwar – einen für Start-Ups relativ klassischen Skalierungs-Case spielen, der immer mehr aufzugehen scheint. Im Segment der Large Luxury Sedans ist Tesla mit dem Model S in den USA und in vielen Ländern Europas Marktführer. Mit dem neuen Model 3, dem kleinen Bruder, hat es just die Marktführerschaft in den USA auch erreicht. Die Zeit von der ersten Entwicklung bis zur Übernahme der Marktführerschaft des Model 3 war – lässt man die überambitionierten Termin-Versprechungen des Tesla CEO aus – eine der kürzesten, die je im Automobilmarkt erreicht wurden. Und Tesla wird im nächsten Quartal mehr EV-Batterien herstellen als die restlichen Hersteller weltweit zusammen.

Das kann ja eigentlich alles nicht sein. Mercedes zum Beispiel hat viel mehr Erfahrung in fast allem, was für den Bau von Elektroautos notwendig ist, mehr Kapital, mehr Know-How und hatte lange auch viel mehr und bessere Engineers. Wie kann es soweit kommen?

(Sie können gerne auch ein anderes Beispiel als Tesla nehmen, wenn sie diesbezüglich Befindlichkeiten haben. Es gibt mittlerweile praktisch in jeder Branche entsprechende Kandidaten.)

„Innovators Dilemma“

Eine fast klassische Antwort auf diese Frage ist, dass die etablierten Player dem „Innovators Dilemma“ erlegen sind. Eine zentrale These des „Innovators Dilemma“ besagt, dass die etablierten Unternehmen darum Innovationen im größeren Stil nicht vorantreiben können, da sie den klassischen Regeln der Management-Kunst folgen, was systematisch zur alleinigen Verwaltung anstatt der Weiterentwicklung des bestehenden Geschäfts führt.

Ich glaube, das ist tatsächlich ein Effekt der immer noch mitspielt. Aber: Die Zeiten haben sich fundamental geändert. Große Konzerne haben alle ihre Innovationsabteilungen, ihre Scouts. Fail-Fast, Design-Thinking und Agile Entwicklung sind nicht erst seit gestern ein Thema. Auch wenn bestehendes Geschäft verwaltet wird, ist man sich doch sehr wohl bewusst, was passieren muss.

Ein GL-Mitglied einer großen Beratungsfirma in der Schweiz hat das mir gegenüber so formuliert: Er wisse ganz genau, dass wenn sein Unternehmen sich bezüglich Geschäftsmodell und Technologie nicht bewege, dieses in 10 Jahren wohl tot sei.

Leider führt Erkenntnis nicht zwingend zu entsprechend abgeleitetem und stringentem Handeln.

Ich glaube, man kann heute nicht mehr sagen, die Unternehmen seien sich des langfristigen Veränderungszwanges nicht bewusst. Ein klassisches „Innovators Dilemma“ wie es von 20 Jahren entworfen wurde, gibt es meiner Meinung nach nicht mehr.

„Erfolgs-Lethargie“

Ich glaube, eine wesentliche Komponente warum Unternehmen nicht radikale Änderungen in Angriff nehmen, ist, was ich „Erfolgs-Lethargie“ nenne.

Ich glaube, es ist im Positiven wie im Negativen im Kern der menschlichen Psyche verankert, erst etwas zu tun oder zu ändern, wenn die Auswirkungen auf einen selbst imminent werden.

Als eine generelle Regel, glaub ich, kann man sagen, dass diejenigen, die Veränderungen in Angriff nehmen, bevor die Auswirkungen einer Entwicklung offensichtlich sind, erfolgreich sind.

Diesen Effekt kann man schön an Kindern beobachten. Kinder haben anfangs extrem Mühe abzuschätzen, was ihre Handlungen im Jetzt für eine Auswirkungen in Zukunft haben. Basierend auf den unmittelbaren Eindrücken fällen sie Entscheidungen. Auch wenn abschätzbar ist oder ihnen mitgeteilt wird, dass sich diese Entscheidungen langfristig nicht positiv auswirken. Erst wenn die Folgen sehr direkt absehbar sind, ändert man etwas.

Das geschieht nach meinem Empfinden in der Wirtschaft auch. Zu verlockend ist der momentane Erfolg als, dass man ihn mutwillig für die Zukunft opfern will.

„Niemand ändert ein Spiel, das zu seinen Gunsten läuft.“

Dabei geht es eben um genau das: Die Regeln des Spiels und damit das Spiel an sich proaktiv zu ändern.

Technologie-Entwicklung betriebswirtschaftlich einschätzen

Der andere Punkt den, so glaube ich, viele Unternehmen nicht richtig hinbekommen, ist, die Auswirkungen der Entwicklung von neuer Technologie auf die betriebswirtschaftlichen Aspekte richtig einzuschätzen. Ich glaube denn auch, dass das den traditionellen, deutschen Herstellern passiert ist.

Denn diese hatten sich das Elektroauto bereits in den achziger Jahren ganz genau angeschaut. Ihnen war schon damals klar, dass der Elektromotor für sich alleine betrachtet, der viel bessere Antrieb ist.

Die Batterien, damals Bleiakkumulatoren, kosteten nicht viel, hatten aber erhebliche Mängel im Betrieb. Weil es auf dem Papier erstmal nach einer möglichen Alternative aussah (und auch der Ölpreis eine gewichtige Rolle spielte), hatte man diese Konzeptautos gebaut. Um dann nach und nach festzustellen, dass diese eigentlich nicht funktionieren.

 

Als dann 1991 die ersten Lithium-Ionen Batterien auf den Markt kamen, hat man die Situation wieder bewertet. Lithium-Ionen Batterien haben die nachteiligen Eigenschaften von Bleiakkumulatoren nicht. Ihr damaliger Schwachpunkt: Der enorm hohe Preis.

Damit war für die Autoindustrie klar: Das Elektroauto funktioniert nicht. Dieses Mantra ist, wenn auch immer mehr hinter vorgehaltener Hand, bis heute bestehend.

Danach muss man die Entwicklung dieser Technologie in der Automobilbranche (bis auf GM) komplett aus den Augen verloren haben. Anders ist es nicht zu erklären, dass nur ein kleiner Hersteller die Kostenentwicklung genau beobachtet hatte und entsprechend dieser Erkenntnisse gehandelt hat.

Entwicklungen verfolgen, anstatt aktuelle Gegebenheiten einschätzen

Darum glaube ich, dass es für alle Unternehmer die etwas mit Technologie grundlegend machen oder machen wollen, nicht die Betrachtung von bestehenden Verteilungen und Gegebenheiten wichtig ist, sondern die Entwicklung und Dauer und Wegstrecke bis eine Technologie in einem Szenario eine betriebswirtschaftliche Relevanz erlangt.

Das war was Lithium-Ionen Akkus angeht erstaunlich offensichtlich. Konkret über Jahre beobachtbar. Die paar Anbieter, die das erkannten, hatten die letzten Jahre enorm viel Zeit, sich in Stellung zu bringen. Und werden diese Stellung in den nächsten Jahren immer stärker ausspielen.

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Eine Antwort auf „Das Digital Transformation Hemmnis.“

Hallo, auch wenn der Vergleich von Tesla und deutsche Automobilindustrie abgedroschen wirkt, er stimmt noch. Ich bin alles andere als ein Automobilexperte, aber für mich spielen bei Tesla noch viele andere Gründe rein.

1. Frei nach Simon Sinek und seinem Golden Circle: Es gibt eine starke Vision hinter Tesla: Eine neue Art von Mobilität und ganz konkret die Idee, dass Software wichtiger ist als Hardware. Tesla ist (oder wirkt) mehr, als ein Automobilhersteller.

2. So ein Software E-Auto braucht Mut zur Kannibalisierung. Die gesamte Wertschöpfungskette sieht anders aus. Die Fertigung sieht anders aus. Der Akku ist das zentrale Element. Mit dem Tausch der Betriebsstoffe (Benzin gegen Akku) ist es nicht getan.

3. Tendentiell bedeutet das autonome E-Auto eine Abkehr vom Individualverkehr. Die USPs der Fahrzeuge sehen völlig anders aus.

Alles genug Gründe, um die Alarmglocken jedes Markt- und Vertriebschefs klingeln zu lassen. Es ist geradezu verrückt.

Dennoch habe ich das Gefühl, dass die deutsche Automobilindustrie den Weckruf hört und mittlerweile reagiert.

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