Letzte Woche konnte ich auf der hub15 einen interessanten Tag verbringen. Auf einer Nebenbühne gab es ein Panel unter dem Titel „How do we get more European Unicorns?“, welches über den Zustand der europäischen Start-Up Szene einiges aussagte. Eine Einschätzung.
(Lesedauer 4 Minuten)
Wir sind nicht Amerika
Vorausgeschickt sei: Ja natürlich benötigen wir auf dem europäischen Kontinent mehr Start-Ups, mehr VCs, mehr Chancen für Leute, die etwas erreichen wollen. Wir laufen aber fundamental in die Leere, wenn wir weiterhin versuchen, das nach amerikanischem Stil machen zu wollen. Der Grund dafür ist simpel: Wir sind nicht Amerika.
Peter Thiel hat in seinem Buch „Zero to one“ ein einleuchtendes Modell zu den grundlegenden Unterschieden aufgezeigt:
“The definite optimist has a concrete plan for the future and strongly believes in that future being better than today. The indefinite optimist is bullish on the future but lacks any design and plan for how to make such a future possible. The definite pessimist has a specific vision for the future but believes that future to be bleak. The indefinite pessimist has a bearish view on the future but no idea what to do about it.”
Seine Aussage dazu ist, dass Start-Ups und Venture Capitalists „Definitie Optimists“ sind. Sie glauben also an das morgen und haben auch einen Plan, wie sie diese bessere Zukunft Wirklichkeit werden lassen können.
Das ist mit den europäischen Start-Ups nicht anders. Aber sie wirken in einem Kontext und Umfeld, das unterschiedlicher nicht sein könnte. Jedes Startup muss schließlich früher oder später in der bestehenden Wirtschaft konkurrenzfähig sein (lese „Gewinn machen“).
Und da haben es vor allem unkonventionelle Firmen in Europa schwerer. Ganz einfach weil hier ein anderes psychologisches Klima herrscht. Und sehen Sie es einmal so, vor 200 Jahren sind aus aller Welt Leute in die „neue, ungewisse“ Welt aufgebrochen und haben die USA geformt.
Kann es sein, dass sich einfach ein Großteil der risikofreudigen „Charaktere“ damals aus Europa verabschiedeten? Ich weiß, es ist ein wenig entrückt, aber Sie müssen zugeben, diese Wurzeln müssen in den USA einen gewissen Effekt selbst auf ihre heutige Gesellschaft haben.
Eigene Wege finden
Dieses Vergleichen der VC Märkte und Startups hüben und drüben ist nicht mehr als Zahlenspielerei. Es bringt nix außer, dass uns in Europa ein paar Zahlen deprimieren. Es bringt aber auch nichts, einfach Schlachtrufe à la mehr Risiko, mehr Unicorns auszugeben. Denn es passiert schlicht nicht viel.
Doch was können wir denn hier in Europa tun? Bezeichnenderweise haben es die beiden Gründerinnen im Panel auf der hub15 ziemlich klar benannt: Der schiere administrative Wahnsinn, die vielen Regulatorien sind ein großes Ärger- und Hindernis. Denn auf der einen Seite fördert die EU den digitalen Binnenmarkt („we now have the digital, single market“), auf der anderen Seite grassiert schlicht und einfach die Überregulierung.
Vielfach handelt es sich dabei um Regulierung, die mehr dazu geschaffen wurde, bestehende Industrien zu schützen als die Konsumenten. Das ist brandgefährlich, denn es erhöht den Schaden der entsteht, wenn dann eine Industrie trotzdem der Disruption unterliegt (lesen Sie ruhig „niedergeht“). Dieser Protektionismus erhöht den sozialen Schaden auf lange Frist.
Confusing Founding with Incorporating
Und dann erzählt dieser Andrus Ansip, mit dem sich die EU btw als Gesandten nicht gerade einen Gefallen tut, wie einfach es in Estland doch sei, in 15 Minuten eine Firma zu gründen. Und macht dabei den Anfängerfehler Nummer eins: Er verwechselt Firma gründen mit der Errichtung einer juristischen Person.
Ganz ehrlich, zweites ist fast nirgends in der westlichen Welt ein wirklich großes Problem. Bei der Gründung aber Hilfe, Rat/Tat und Beurteilung zu erhalten, ist ziemlich schwer. Und, von vereinzelten Angeboten abgesehen, als Dienstleistung durch staatliche Institutionen auch nicht erhältlich. Das würde aber sehr viel helfen, um mehr Gründungswillige auf die Straße zu bringen.
Und dann diese Unicorns
Später meint Verena Hubertz, die Bewertungen der Firmen sei teilweise schon ein bisschen „crazy“ und stellt die rhetorische Frage, warum Firmen wie Uber oder Airbnb mehr Wert wären als ihre althergebrachten Branchenkonkurrenten. Und offenbart damit das grundlegende Missverständnis betr. Unicorns.
Denn Unicorns sind nur ganz selten auch >1 Mia. wert. Sie werden nur technisch von einem kleinen Kreis von Investoren so bewertet. Es ist erstaunlich wie wenig Leute sich dessen bewusst sind. Offenbar sind auch recht helle Leute und gerade auch in der Digitalbranche nicht vor der Anziehungskraft der großen Zahlen gefeit.
Funding und Valuation
Die Finanzierung eines Startups mit großem Kapitalbedarf erfolgt in der Regel über verschiedene Finanzierungsrunden. Bei jeder Runde beteiligen sich ein oder mehrere Geldgeber an einer Kapitalspritze ins Unternehmen. Damit dabei die Besitzerverhältnisse gewahrt oder bewusst verschoben werden können, wird eine private Bewertung aufgestellt. Dies ist keine traditionelle Firmenbewertung, sondern eine relativ simple mathematische Rechnung resp. Verhandlungssache. Es wird sozusagen die Grundmenge, also das „100%“, erhöht. Der nun fehlende Teil im Kuchen wird mit einem Optionen-Pool ausgefüllt. Eine schöne Infografik hat dazu fundersandfounders.com erstellt:
Zu keinem Zeitpunkt (ausser nach IPO) aber gibt es in diesem Spiel jemand der die Firma zur aufgemachten Valuation (eben >1 Mia.) übernehmen würde. Damit erübrigt sich die Frage nach dem Wert des Start-Ups, denn der Wert einer Firma ist jene Zahl, die sich aus einer Veräußerung des Unternehmens ergeben würde. Das ist der Unterschied zwischen Wert und Bewertung.
Blase, welche Blase?
So gesehen ist die Blase, solange sie im „privaten“ und auf solche Weise entsteht, nicht weiter tragisch. Aber trotzdem sendet der Unicorn-Wahn ganz einfach falsche Zeichen. Falsche Zeichen an neue Gründer, an VCs und vor allem auch an Entscheidungsträger in der Old Economy.
Lieber einfach gute Unternehmen anstatt Unicorns
Die Zielsetzung für Europa kann nicht sein, möglichst viele Unicorns zu generieren, sondern wir sollten auf breiter Form besorgt sein, dass die Politik nicht weitere Hürden für Unternehmen aufbaut. Damit meine ich nicht den Arbeitnehmerschutz zu reduzieren, sondern den ganzen Wahnsinn rund um Bestimmungen und Regulation einzudämmen. Und Gründern aktiv zur Seite zu stehen und mit ihnen die ersten paar sehr schwierigen Meter zu gehen.
We do not need more european unicorns (overrated startups) – we need more profitable start-ups #hub15 https://t.co/RYVOjyyzPu
— Johannes Loxen (@jloxen) 10. Dezember 2015
Ob daraus dann große Unternehmen mit enormen Erfolgsgeschichten oder Mittelständler entstehen, ist erstmal zweitrangig. Aus gesellschaftlicher Sicht und eigentlich auch aus politischer Sicht wären eine „Armee“ von innovativen Mittelständlern viel hilfreicher als 5 oder 6 wirklich große Konzerne, denn „groß“ ist in Zukunft viel weniger relevant. Es geht in Zukunft ja darum, möglichst schnell zu sein. Und das ist man, ob „disruptiver“ Player oder nicht, nun mal wenn man klein ist.
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