Schon länger „predige“ ich, dass sich mittlere und kleine Full-Service-Webagenturen Gedanken über die Zukunft machen sollten, weil dieser Bereich stärker unter Druck kommen wird. Das ist in den letzten 3 Jahren tatsächlich auch geschehen, die Auswirkungen sind jedoch noch nicht so gravierend, da der Gesamtmarkt noch immer wächst.
(Lesedauer 3 Minuten – english version here)
Was sind kleine und mittlere Full-Service-Webagenturen?
Mit kleinen und mittleren Full-Service-Webagenturen meine ich Agenturen, welche folgende Kriterien aufweisen:
- beschäftigen 10 bis 70 FTE
- betätigen sich im Bereich CMS, eCommerce, etc. und erbringen zudem Komplementärdienstleistungen z. Bsp. SEO/SEA oder E-Mail-Marketing
- bedienen vorwiegend mittelständische Unternehmen
- sehen sich vorwiegend als alleinige Ansprechpartner in Sachen Web für ihre Kunden
In den letzten 10 Jahren sind solche Firmen wie Pilze aus dem Boden geschossen. In der Zeit von 2003 bis 2010 wurde die Qualität der Firmenwebsites erheblich gesteigert. Wo 2003 vielerorts eine einfache (mit Frontpage) erstellte Website im Einsatz war, ist heute eine CMS gestützte, umfangreiche Webpräsenz (wie ich das Wort „liebe“) online. Diese Generalüberholung auf breiter Front hat ein unheimliches Momentum im Markt generiert. Entsprechend einfach war es auch, im Markt als Dienstleister Fuss zu fassen und eine Firma aufzubauen. Ein paar Unternehmer haben diese Chance genutzt und sind signifikant gewachsen und schliesslich über das Modell hinausgewachsen und präsentieren sich heute als grosses Unternehmen im Full-Service-Bereich (300 bis 500 Leute) oder als grosser Anbieter in einem Nischensegement. Der überwiegende Teil der Agenturen konnte zwar auch erheblich wachsen, hat aber die Schallmauer von 50-60 Leuten nicht durchbrechen können. Die meisten davon halten aber dennoch am Full-Service-Modell fest, gerade deswegen gerieten sie in den letzten 3 Jahren zunehmend unter Druck und werden dies weiter spüren.
Folgende Gründe dafür sehe ich:
Steigende Professionalisierung auf Kundenseite
Das Knowledge und Know-How auf Kundenseite ist stark gewachsen. Musste man 2003 noch etlichen Entscheidungsträgern die Wichtigkeit z. Bsp. einer Website erklären, sind die Verantwortlichen heute nicht selten fachlich auf Augenhöhe. Diese Kunden sind viel fordernder, erkennen Fehler und Ungereimtheiten viel öfter und verlangen grundsätzlich eine höhere Dienstleistungsdichte.
Fullservice ist viel breiter geworden
Heute bedeutet Full-Service viel mehr als noch vor 10 Jahren. Das Dienstleistungsfeld ist so breit, dass es von einer 50 Personen Firma de fakto nicht mehr souverän erbracht werden kann. Die Entwicklung in den jeweiligen Feldern schreitet rasant voran und es ist unabdingbar, dass ein grosser Zeitaufwand auf die Weiterbildung verwendet werden muss. Wer diesen Prozess strukturiert, wie das in grossen Agenturen geschehen kann, verbucht ganz konkrete Kostenvorteile, weil nicht jeder Mitarbeiter sich selber irgendwie informiert, sondern weil die Weiterbildung organisiert ist. Dies resultiert in besserer Ausbildung bei kleinerem Aufwand.
Wenn mit zu wenigen Mitarbeitern zu viele Felder beackert werden, resultiert das in mittelmäßigen Leistungen. Sobald ein Kunde dann einmal mit einem spezialisierten Anbieter zu tun hat, werden die Schwachstellen aufgedeckt und die Full-Service-Agentur gerät in die Kritik. Gängiges Beispiel dafür ist SEO. Ich wette: Jede Full-Service-Agentur unter 200 Mitarbeitern hat diese Erfahrung schon einmal gemacht.
Nicht alle Werbeagenturen sterben
Das Verhältnis von Werbeagenturen und Internetagenturen ist seit jeher gespannt. Während die meisten Werbeagenturen an Bedeutung verloren und von der Zeit ein wenig abgehängt wurden, gibt es doch einige die eine Transition ins digitale Zeitalter geschafft haben. Diese haben eine recht gute Position beim Kunden und können gerade im Bereich Online-Marketing doch einiges an Bussiness generieren. Dies geht heute in der Regel zu Lasten der mittleren Full-Service-Agenturen.
Spezialisierung
Mit der Verbreiterung des Dienstleistungsspektrums entstehen auch immer mehr spezialisierte Dienstleister. Durch die höhere Professionalisierung auf Kundenseite ist es daher bereits für relativ kleine Kunden möglich, ein Projekt statt mit einer Full-Service-Agentur mit 2 oder 3 verschiedenen spezialisierten Partnern umzusetzen.
Vom Development zur Konfiguration
Development-Arbeit wurde und wird sukzessive durch Konfigurationsarbeit ersetzt. Das Online-Business Know-How ist zentral für eine Full-Service-Agentur. Waren die Entscheidungsträger 2005 hauptsächlich CIOs, sind es heute mehrheitlich Marketingleute oder die CEOs selber. Da aber noch immer auf Zeit abgerechnet wird, fällt der durchschnittliche Umsatz pro Deliverable. Teilweise kann das durch höhere Preise aufgefangen werden. Mittelfristig aber wird die Zeitersparniss durch Konfiguration eine empfindliche Auswirkung auf die verrechenbare Zeit einer Agentur haben.
Und reine Berater…
Noch gibt es nicht so viele, aber ich denke wir werden immer mehr davon sehen. Gerade der Trend hin zur Konfiguration spielt den Beratern langfristig in die Hände. Verstehen sie das Business und den Kunden gut, sind sie multidisziplinär einsetzbar und flexibel, können sie dem Kunden helfen ihre Ziele zu erreichen, ohne produktorientiert zu agieren.
Die Agenturen merken noch nicht viel
Dass dieser Konsolidierungs-Effekt nicht stärker durchschlägt, ist dem nach wie vor steigenden Gesamtmarkt zu verdanken. Aber vielerorts sind erste Anzeichen erkennbar. Ich habe im letzten Jahr verschiedene Gespräche mit europäischen Agenturen geführt und fast alle beklagen sie über ein Business das härter wird.
Was ist zu tun?
Ich denke, es ist jetzt Zeit, sich Gedanken über einen internen Strukturwandel zu machen. Natürlich werden nicht sämtliche Kunden von heute auf morgen ihre Lösungen ersetzen und komplett andere Wege gehen. Übermässige Eile wäre daher fehl am Platz, Bewegung in dieser Frage aber durchaus nicht. Folgende zwei Wege aus dem Dilemma halte ich für realistisch:
Eine grosse Full-Service-Agentur werden
Es wird wohl immer Kunden geben, welche möglichst sämtliche Dienstleistungen aus einer Hand beziehen möchten. Um diese Dienstleistungen aber in guter Qualität und mit ausreichender Ressourcendecke erbringen zu können, benötigt man heute rund 2 bis 300 Mitarbeiter, eher mehr. Der Markt gibt eine solche Firmenentwicklung für einen Full-Service-Dienstleister noch immer her, aber es ist mittlerweile recht schwierig.
Ein Nichen-Dienstleister werden
Die Alternative dazu ist die Spezialisierung auf ein besonderes Gebiet. Meist ist diese Spezialisierung schon ansatzweise vorhanden. Die simple Frage in die Mitarbeiterrunde: „Was können wir besonders gut?“ gibt meist erstaunlich klare Antworten. Um als Nichen-Dienstleister erfolgreich zu sein, benötigen Sie drei Dinge: Partnerschaften, Inbound-Marketing und eine gute Reputation. Alle drei. Ersteres und zweiteres können Sie aktiv angehen, das dritte kommt jedoch nur mit guter Arbeit.
Chancen?
Diese Marktveränderung bietet grosse Chancen für Full-Service-Agenturen. Wenn Sie sich denn wandeln wollen. Es muss nicht zwingend so sein, dass man sich nur auf einen Bereich spezialisiert, sondern man kann sich auch mit verschiedenen Units (und Marktauftritten) profilieren. Und vergleichen wir es ruhig mit anderen Branchen, welche schon ein bisschen älter sind. Dass es eine Entwicklung hin zur Spezialisierung gibt, ist ganz normal. Das war und ist bei jeder Branche der Fall. Was am Anfang interdisziplinär erbracht wurde, wird heute hochspezialisiert angeboten. Der Handwerker, der bei Ihnen die Heizung repariert, ist schließlich ja auch nicht derselbe, der Sanitärarbeiten vornimmt.
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Eine Antwort auf „Wie entwickelt sich der Internetagentur-Markt?“
[…] die technischen Dienstleistungen der Agenturen weitestgehend obsolet machen (dazu hat sich auch Alain Veuve Gedanken gemacht). Ich für meinen Teil habe noch nie an das Full-Service-Konzept geglaubt. Mir […]