Die Arbeitswelt wird gerade einer nie dagewesenen Veränderung unterzogen. Immer mehr Leute wollen flexibel arbeiten, die Zeit selbst einteilen und selbst bestimmen wie sie sich einbringen. Das ist eine große Chance für alle im Wirtschaftsleben – wenn man sich von den bislang geltenden Rahmenbedingungen lösen kann. Wir steuern auf eine Welt von Freelancern zu.
(Lesedauer: 5 Minuten)
Selbst gestalten
Ich höre das oft: „Ich möchte mein eigener Chef sein. Ich möchte selbst entscheiden, wann ich mal einen Nachmittag frei mache“. Immer mehr junge Leute möchten sich entsprechend ihrer aktuellen Situation einbringen oder eben auch nicht. Mal sehr viel arbeiten, dann wieder wenig, sich den familiären Begebenheiten anpassen. Das Leben in auf der ganzen Breite der Klaviatur bespielen.
Gut ausgebildet – mäßig wirtschaftlich leistungsbereit
Das geht immer dann relativ gut, wenn Mann oder Frau gut ausgebildet ist und keine hohen Ansprüche an Materielles hat. Wer heute in der Schweiz einen Master hat und beruflich die einen oder anderen Schritte bereits gemacht hat, kann in der Regel mit einem 60-70% Pensum auskommen. Damit macht man keine großen Sprünge, aber es geht. Kann man seine Kosten mit einem Lebensabschnittspartner teilen, verbessern sich diese „Rationals“ zusätzlich.
Eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Errungenschaft gleichermaßen
Ich bin jeweils recht frustriert, wenn ich exzellente Kandidaten für einen Job bei uns sprechen, die nur ein reduziertes Pensum leisten wollen, da wir in unseren Start-Ups fast keine solchen Opportunitäten anbieten können. Aber betrachtet man diese Entwicklung aus einer gesamtheitlichen Perspektive, muss man attestieren, dass es sich dabei um eine grandiose gesellschaftliche und wirtschaftliche Errungenschaft handelt.
Denn die Leute sitzen ja in der nicht-arbeitenden Zeit nicht auf dem Sofa und schauen Netflix, sondern gestalten ihr Leben aktiv, kümmern sich mehr um die Kinder, leisten unterschwellige oder ganz offensichtliche soziale Dienste. Dass wir uns das leisten können und wollen und dass es tatsächlich passiert, zeigt, dass wir es schaffen, von den Effizienzgewinnen zu profitieren und diese in freie Zeit im System umzulegen.
Dass dies nur einer privilegierten Schicht möglich ist, ist bedauerlich. Gesellschaftliche positive Entwicklungen beginnen aber oft bei der wohlhabenderen gesellschaftlichen Schicht und etablieren sich sozusagen gegen unten auf der Einkommensleiter. Das wird hier über Zeit nicht anders sein.
Selbständig sein
Ein reduziertes Pensum bei einer Unternehmung arbeiten ist das eine. Wirkliche ökonomische Freiheit suchen viele in der Schweiz hingegen in der Selbständigkeit.
Wer heute beruflich wirklich im Sinne des Wortes selbständig sein möchte, kann das in der Regel nur mit der Rechtsform Einzelunternehmer. Diese jedoch hat fundamentale Nachteile für genau eine solche Situation. Die Abrechnung der Sozialbeiträge ist aufwändig und fehleranfällig und im Falle eines Erwerbsausfalles ist der Selbständige.
Und gerade jetzt in der Krise durch die Maßnahmen bezüglich Covid-19 konnte wieder beobachtet werden, dass die Erwartungen von Selbständigen hinsichtlich dieser Rechtsform völlig falsch sind. Man wundert sich warum man eben keine Kurzarbeit beantragen kann, warum Unterstützung nur spärlich erfolgt.
Selbständige sind keine Unternehmer
Der Grund dafür ist simpel: Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern. Unternehmer sind steuerlich privilegiert, gehen auf der anderen Seite aber größere Risiken ein, um diese Privilegien zu erlangen. Dazu gehört, dass wer einen arbeitgeberähnlichen Status in einer Unternehmung innehat, eben kein Arbeitslosengeld und keine Kurzarbeit beantragen kann. Das ist völlig logisch und nur gerecht.
Selbständige sind eben keine Unternehmer, auch wenn sie die Rechtsform Einzelfirma nutzen oder wie das oft auch passiert, eine GmbH gründen in der sie als einzige Angestellte arbeiten. Das ist nicht Unternehmertum – das ist Selbständigkeit.
Die Einzelfirma gehört abgeschafft
Für diese Selbständigen – die von den steuerlichen Privilegien ja in den allermeisten Fällen gar nicht profitieren, weil sie gar nicht viel Gewinn erwirtschaften (wollen), gibt es keine passende Rechtsform.
Die Einzelfirma ist meiner Meinung nach ein Relikt aus vergangener Zeit und gehört abgeschafft. Wer heute eine Firma mit Angestellten aufbaut, gründet, schon nur aus Haftungsgründen, eine Kapitalgesellschaft. Der vermögende, persönliche haftende Patron und Eigentümer des Industriebetriebs findet sich heute fast nirgends mehr.
Eine Welt voller Freelancer und Selbständige
Ich finde, dass Freelancer und Selbständige gefördert werden müssen. Die gesellschaftlichen Vorteile sind immens und auch die wirtschaftliche Diversität und Eigenverantwortung wird erhöht.
Anstatt die Einzelfirma und 1-Personen GmbHs mit Sozialpaketen auszustatten, sollte der Gesetzgeber eine neue Rechtsform für Freelancer und Selbständige schaffen. Die steuerlichen Privilegien braucht es dabei nicht – jedoch natürlich die entsprechende soziale Absicherung.
Zum Schaden von Unternehmern und zum Schaden der Selbständigen
Das heutige System ist nicht nur für die Selbständigen schädlich, sondern auch für Unternehmer. Ich bin, das gebe ich gerne zu, auch daher gegen Sozialleistungen für 1-Personen Unternehmen und Einzelfirmen. Denn mit diesen Sozialleistungen geht der Abbau der steuerlichen Privilegien für Unternehmer einher. Das ist für mich als Unternehmer nicht nur ein wenig ärgerlich, sondern ein ernstes Problem. Wenn ich mit unseren Unternehmen nicht ordentlich Geld verdienen kann ohne es im selben Masse wie Einkommensarbeit zu besteuern, werde ich schlicht kein Business mehr machen. Das Risiko Arbeitsplätze zu schaffen und diese auch entsprechend durch zu finanzieren, wenn es notwendig ist, ist mir als Unternehmer dann irgendwann zu hoch und ich ziehe entweder weg oder lasse es einfach sein. Im Unternehmertum geht es nicht NUR um Geld. Aber wir dürfen nicht meinen, dass es nicht AUCH um Geld geht.
Die jetzige Entwicklung produziert nur Verlierer; die Bedingungen für Unternehmer werden zunehmend schlechter, die Bedingungen für Freelancer und Selbständige werden trotzdem nicht richtig gut.
Es ist an der Zeit, dass der Gesetzgeber eine spezielle Rechtsform für Selbständige und Freelancer schafft. Eine mit sozialer Absicherung die auf die neuen Bedürfnisse dieser Erwerbstätigen eingehen. Vielleicht kann so auch erreicht werden, dass mehr Leute ihre Arbeitszeit- und Energie selbständig, motivierter und für sie geschickter einteilen. Das kommt schlussendlich allen zu Gut. Den Selbstständigen und Freelancern selbst, den Unternehmern und dem Staat.
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2 Antworten auf „Die Zeit ist reif: Wir brauchen eine Freelancer-Rechtsform.“
Ich denke wenn man einen Job macht, der einen auch wirklich Spaß macht braucht es keine jahre lange Ausbildung. Denn wer es mit Motivation arbeitet, arbeitet am besten.
Lg Mia
Ich bin selber Freelancer und bin mit dem Untertitel „Gut ausgebildet – mäßig wirtschaftlich leistungsbereit“ nicht ganz einverstanden. Ich finde gerade Freiberufler und Freelancer sind durch eine hohe Motivation getrieben, überdurchschnittliches zu leisten, um an gute Aufträge und Projekte zu gelangen.