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Digital Transformation

Mit Machine Learning zum Paradigmenwechsel in der Produktion

Die letzten Wochen haben Jan-Hendrik Heuing und ich uns intensiv über neue Möglichkeiten der Produktionssteuerung ausgetauscht. Das ist für uns relevant, da wir uns überlegen, wie wir die Produktion bei Accounto in Zukunft organisieren sollen, um «extreme Effizienz» zu erreichen. Was dabei rausgekommen ist, nennen wir, nicht ohne Augenzwickern, Hyper-Frequency-Production-Planning-Engine. Über den zukünftigen Einsatz von künstlicher Intelligenz (AI) in der Produktion.

(Lesedauer: 5 Minuten)

Paradigmenwechsel 1: Umstieg von Einzelfertigung auf Fliessband

Als vor rund 100 Jahren Henry Ford die Fliessbandfertigung einführte, war das ein extrem Produktivitätsgewinn. Bis heute hält sich das Konzept und wurde durch die Roboter stark beschleunigt.

Bei der Produktion geht es im Grundsatz immer um Allokationsprobleme: Ist das Material zur richtigen Zeit am richtigen Ort, ist der Mitarbeiter mit der richtigen Kompetenz zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Können die geplanten Arbeiten in der geplanten Zeit ausgeführt werden. Was sind Prozedere, wenn diese Prozesse nicht wie geplant ablaufen.

Durch die sequentielle Fließbandfertigung konnten diese Allokationsprobleme besser gelöst werden als bisher und dadurch der Materialdurchsatz und der Produktionsoutput erhöht werden.

Paradigmenwechsel 2: The machine that builds the machine

Ein zweiter Paradigmenwechsel, so glaube ich, hat in den letzten 5-10 Jahren stattgefunden. Immer mehr Leute aus der Produktion betrachten die Produktion selber als ihr Produkt. Das ist ein Prozess, der an Wichtigkeit nicht zu unterschätzen ist.

Denn er lenkt die Aufmerksamkeit des Engineerings weg vom auszuliefernden Erzeugnis und konzentriert auf die Maschine, welche die Produkte herstellt.

Ich denke, das ist ein stiller Paradigmenwechsel. Ein Umdenken von vielen an der Produktion beteiligten Personen. Und es ist ein logischer Schritt: Je mehr Arbeitsschritte Roboter in der Produktion übernehmen, desto mehr Menschen kümmern sich um das Instandhalten und Optimieren der Produktionsmaschinen. Dieses Umdenken ist Grundvoraussetzung für den dritten Paradigmenwechsel, den ich in den nächsten Jahren erwarte: Die durch AI organisierte/gestützte Produktion.

Probleme der sequentiellen Produktion

Das Problem an der heutigen, sequentiellen Fließbandproduktion ist, dass die Allokation der Ressourcen nicht dynamisch erfolgt. Es entstehen immer Leerzeiten und die Beschleunigung des Takts, also der Zeitabschnitt der für das Vornehmen eines Arbeitsganges zur Verfügung steht, ist nicht unbegrenzt möglich. Zum einen kann der in der sequentiellen Produktion eingesetzte Mensch nicht immer schneller arbeiten (und soll es auch nicht!). Uum anderen erfordern z. Bsp. Materialreifeprozesse Standzeiten, welche mit genügend Spielraum angegangen werden müssen, weil auch äußere Einflüsse reinspielen.

Zudem ist die Produktion von heterogenen Produkten in sequentiellen Serienfertigungsanlagen eine komplexe Angelegenheit. Die sequentielle Takt-basierte Fertigung war/ist ein riesiger Fortschritt gegenüber der Einzelfertigung. Aber perfekt im Sinne der heutigen Möglichkeiten ist sie beileibe nicht.

Paradigmenwechsel 3: Die AI-gestützte Produktion

Mit einer AI-gestützten Produktion kann man den sequentiellen Prozess aufbrechen und auf ein dezentrales Modell umstellen und dadurch die Ressourcen viel besser nutzen.

Anstatt Arbeitsvorgänge in einer klaren, vordefinierten Reihenfolge vorzunehmen, sollte die AI-gestützte Produktion, die nicht voneinander abhängigen Arbeitsschritte eben in situativ bestmöglicher (sprich jeweils logisch richtiger) Reihenfolge erbringen.

Herzstück dieser Produktion ist eben diese Hyper-Frequency-Production-Planning-Engine, welche in Realtime sämtliche Daten der Produktion ausliest und die gesamte Produktion steuert. Man muss sich das ein wenig so vorstellen wie ein Schachspiel: Die Engine berechnet laufend x-mögliche Szenarien und entscheidet sich laufend für entsprechend optimierte Arbeitsanweisungen an die Produktionsmaschine.

So kann es als Beispiel in der Autoindustrie sein, dass Türe A des Modells Y zuerst die Verkleidung erhält und Türe B des Modells Y zuerst den Schließmechanismus. So lange die Arbeitsschritte physisch nicht in Abhängigkeit stehen (z. Bsp. muss die Türe zuerst lackiert sein, damit die Verkleidung aufgebracht werden kann), entscheidet die Engine aufgrund der Auslastung und der Materialzulieferung, grundsätzlich anhand von allen verfügbaren Daten, was der effizienteste Weg ist. Und steuert so die Produktion völlig autonom.

Reinforcement

Damit eine solche Engine möglich sein kann, müssen so viele Daten der Produktionsmaschine wie möglich in Echtzeit verfügbar sein. Das ist schon einmal eine ziemliche Herausforderung. Und ich behaupte auf dem Gebiet der menschlichen Arbeit haben wir im Moment die Grundlagen in der traditionellen Fertigung noch gar nicht. Und ohne menschliche Arbeit geht es momentan noch nicht.

Was eine solche Production-Engine aber wirklich hyper-effizent machen wird, ist, dass sie aus den Auswirkungen ihrer Entscheidungen selbständig lernt.

Und was hat das mit automatisierter Buchhaltung zu tun?

Sie werden sich fragen, warum uns das beschäftigt. Wollen wir jetzt Autos oder sonstige physischen Dinge produzieren? Nein, natürlich nicht.

Aber wir betrachten die vollautomatisierte Erstellung von revisionsfähigen Geschäftsbüchern als Produktionsprozess. Und genau wie in der Fließbandfertigung sind die Prozesse heutzutage sequentiell. Ein Beleg komm rein, wird klassifiziert, durchläuft verschiedene Prüfungen, wird in die buchhalterisch relevanten Bestandteile aufgestückelt, welche dann nach einem regulatorischen Framework klassifiziert werden.

Auch hier ist es wie bei der physischen Produktion. Nicht alle Arbeitsschritte müssen zwingend sequentiell erfolgen. Je nach Eingangsvolumen und Ressourcenverfügbarkeit machen verschiedene Abläufe Sinn. Und je mehr menschliche Arbeit noch involviert ist, desto mehr können diese unterschiedlichen Reihenfolgen Sinn ergeben.

Diese flüssige, laufende Planung der Produktionsmaschine hat also besondere Vorteile, wenn menschliche Arbeit involviert ist. Sie hat aber auch Vorteile, wenn diese menschliche Arbeit komplett durch maschinelle Arbeit ersetzt ist. Dies darum, weil eben auch maschinelle Prozesse unterschiedliche und wechselnde Ressourcenstellungen verfügbar haben. Am Ende es eines solchen Automatisierungsprozesses würde in unserem Fall eine AI-gestützte Produktionsplanung-Engine also als eine Art Loadbalancer für Rechenleistung, weil bei uns keine physischen Vorgänge mehr involviert sind, fungieren.

Workbenches

Jetzt wäre es natürlich extrem spannend, wir wären schon dort. Sind wir aber noch nicht. Die Hyper-Frequency-Production-Planning-Engine ist im Moment eine vieldiskutierte Vision. Eine, welche wir in den nächsten Wochen code-mässig angehen.

Grundlage dafür ist die Organisation der Produktion weg von den klassischen (digitalen) Buchhaltungsprozessen hin zu bei uns intern so genannten Workbenches. Eine Workbench umfasst immer verschiedene artverwandte Arbeiten, welche entweder durch Bots oder durch Mitarbeiter erfüllt werden können. In unserem Konzept helfen die Mitarbeiter den Bots zu lernen, immer mehr Arbeiten zu übernehmen. Bis für die Menschen nur noch (fanatische :-)) Kundenbetreuung übrig bleibt.

Diese Reorganisation ist gerade im Gange und ist keine einfache Sache. Gottlob sind wir noch so klein. Vor allem auch nicht einfach, weil so zu arbeiten, nicht gerade intuitiv ist. Dass wir uns aber entsprechend aufstellen, ist Grundbedingung dafür, dass mehr und mehr Tasks durch die zukünftige Engine gesteuert werden können. Es ist der erste Schritt auf dem Weg zu einem neuen Produktionsparadigma. Ich bin extrem gespannt, wie traditionelle Produktionsbetrieb diese neuen Möglichkeiten für sich nutzen werden. Allen voran, und aus Gründen, natürlich die Autoindustrie.

Ich denke, dadurch dass wir eine komplett digitale, von physischen Prozessen losgelöste Produktion haben, wird die Umsetzung stark vereinfacht. Das heisst nicht, dass es einfach wird. Aber müssten wir, wie in der physischen Produktion, Millionen von Sensoren anbinden, wäre der Tasks unheimlich.

So bin ich jedoch zuversichtlich, dass wir in ein paar Monaten die ersten real-time, automatisiert geplanten Arbeitstasks für Mitarbeiter und Maschine ready haben werden. Und dass wir dann darauf aufbauen können.

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