Das selbstfahrende Auto polarisiert wie selten etwas bislang. Zum einen hat fast jeder und jede irgendeinen Bezug zum Auto. Selbst jene, welche es komplett ablehnen. Zum anderen scheint es unvorstellbar, sein eigen Leib und Leben komplett einer Maschine an zu vertrauen. Ob wir dies in anderen Bereichen schon tun, scheint dabei keine Rolle zu spielen. Während dieses offensichtlich bislang Unvorstellbare die Gemüter bewegt, realisieren die allermeisten Menschen nicht, welchen Impact das Autonome Fahren auf unsere Gesellschaft und damit auf unsere Wirtschaft hat. Es bleibt schlicht kaum ein Bereich davon unberührt.
(Lesedauer 7 Minuten)
Gesellschaftliche Adaption der ersten umfassenden, autonomen Technologie
Die nächsten 5 Jahre sind für sämtliche Beobachter sehr spannend, weil die Technologie erst richtig in der Breite auf den Markt kommen muss. Und sich durch den gesamten Jungle von juristischen Anpassungen, sozialer Akzeptanz und technischer Herausforderungen kämpfen muss.
Dass das Autonome Fahren möglich ist, steht jedoch bereits heute nicht mehr zur Diskussion. Es gibt verschiedene Hersteller, allen voran wohl Nvidia, die gerade zeigen, dass es das selbstfahrende Auto in der Grundlage bereits gibt. Und dass es sich auch auf öffentlichen Straßen bewegen kann.
Nun heißt aber eine Technologie haben noch lange nicht ein Produkt haben. Damit aus dieser Technologie Produkte entstehen, muss noch relativ viel passieren. Die Technologie muss weiter ausgebaut und verfeinert werden. Das ist das eine. Das andere ist eine Datenbasis zu schaffen, welche Behörden und Versicherungen sozusagen mit dem Argument der Vorzüge davon überzeugt, dass autonomes Fahren mit weniger Risiken verbunden ist als menschliches.
Denn sobald ein Hersteller statistisch belastbar nachweisen kann, dass sein System sicherer ist als menschlich gesteuerter Straßenverkehr, wird es für Zulassungsbehörden und Versicherer extrem schwer, sich mittelfristig zu verschließen. Es ist einer der Gründe warum Tesla schon länger die Fahrdaten aller Fahrzeuge sammelt. Wer diese Daten hat, kann durch künstliche Intelligenz ein besseres Produkt schaffen. Er kann es mit diesen Daten aber eben auch regulatorisch sprichwörtlich auf die Straße bringen.
Unfallversursacher No. 1: Der Mensch
Die überwiegende Mehrzahl aller Unfälle passieren im Moment durch Fehler des Menschen. Ich glaube es ist grundsätzlich ziemlich leicht, weniger Fehler als der Mensch zu machen, da der Mensch viele Fehler äußerst leichtfertig begeht. Denken Sie nur an Fahren in angetrunkenem Zustand, übersetzte resp. nicht angepasste Geschwindigkeit, Sekundenschlaf, Aufmerksamkeitsdefizite und Ablenkungen als Unfallursache.
Da wir aber unsere Fahrzeuge selber steuern, erliegen wir dem Gefühl, wir hätten die Sache auch im Griff. Es gibt für die menschliche Wahrnehmung nichts Schlimmeres als unverschuldet und willkürlich in einem Unfall zu schaden zu kommen. Das ist nicht logisch und entbehrt jeder Grundlage. Aber es ist menschlich.
Diese Hürde gilt es zu überkommen. Das wird ziemlich viel Zeit und Kraft kosten und für die Protagonisten einiges an Schaden bedeuten. Wohin das führt, hat Tesla mit seiner Kombination von Assistenzsystemen, welche sie „Autopilot“ nennen, schon ganz gut mitbekommen: Als vor ein paar Monaten ein Fahrer eines Tesla im Autopilot-Modus mit einem in den Gegenverkehr abbiegenden Laster kollidierte und dabei starb, war für die Öffentlichkeit schnell klar, dass das „Autopilot“-System von Tesla an allem schuld sei.
Und, dass das alles ganz böse unausgereifte Technologie sei. Die rein objektive und auch rechtliche Betrachtung, dass der Lasterfahrer den Unfall verschuldete und wohl auch der Fahrer des Tesla mitschuldig ist, da er nicht wie von Tesla direkt im System angewiesen, der Verkehrssituation die entsprechende Aufmerksamkeit entgegenbrachte, spielte in der öffentlichen Diskussion keine Rolle. Der Schuldige war gefunden: Die neue Technologie. Das ist kein unbekanntes Muster.
Es wird also äußerst spannend zu sehen sein, wie wir als Gesellschaft auf eine solch umfassende neue Technologie reagieren. Eine Technologie die zwar extreme Vorteile bietet, die uns aber im Moment noch gehörig gegen den Strich läuft. Ich erwarte denn auch gar nicht, dass alle heutigen Autofahrer sich autonom werden bewegen lassen. Vielmehr wird ein solcher Übergang in den Köpfen Zeit brauchen. Und von den neuen Generationen getrieben werden.
Kein Bereich ist nicht vom Autonomen Fahren berührt
Die andere Dimension des Autonomen Fahrens ist der Impact auf unsere Wirtschaft.
Ich glaube, dass autonomes Fahren die größte Disruptionskette bislang auslösen wird. Und um einiges grösser wird, als das, was wir heute als Digitale Transformation kennen.
Der Grund dafür ist simpel: Es gibt schlicht fast kein Wirtschafts-Bereich, welcher nicht in irgend einer Weise durch das autonome Fahrzeug verändert wird.
Grundbedingung: Flottenplattform
Das Autonome Fahren wird dann ökonomisch richtig durchschlagen, wenn Anbieter Flottenplattformen unterhalten oder, zu einem späteren Zeitpunkt, Anbieter übergreifende Flottenplattformen schaffen. Diese Plattformen führen für eine Region die Anfrage und die Nachfrage zusammen und kombinieren verschiedene Aufträge miteinander.
Konkret heißt das zum Beispiel, dass eine Anzahl X an Fahrzeugen beispielsweise in einer Stadtregion unterwegs ist. Die Plattform kalkuliert anhand der Nachfrage, Anzahl und Art der nachgefragten „Rides“, die optimalste Auslastung, um für den einzelnen Ride den günstigsten Preis zu gewährleisten. Das heißt, die einzelnen Fahrzeuge fahren möglichst optimale Routen, um möglichst viel Erträge durch Zuladung von Personen auf derselben Strecke einzufahren.
In einem solchen Szenario ist es möglich, dass die umständlichste und längste Route von A nach B de fakto kostenlos erbracht werden kann und man bequem auswählen kann, ob man Geld sparen möchte und zusammen mit anderen eine Strecke vielleicht mit dem einen oder anderen Umweg nehmen möchte oder ob man z. Bsp. in dringenden Fällen einen höheren Preis in Kauf nimmt und dafür direkter, mit mehr Privatsphäre, weil alleine im Fahrzeug, und in kürzerer Zeit am Ziel ankommt.
Eine vielgenannte Kritik auf meinen Artikel zum Autonomen Fahren mit dem Titel „Die Automobilindustrie steht vor dem Abgrund – bald wird sie einen Schritt weiter sein“ zielte darauf ab, dass es für den Pendler Verkehr resp. in Stoßzeiten viel mehr Fahrzeuge benötige. Das ist natürlich nicht komplett falsch. Man muss jedoch auch bedenken, dass gerade diese „Downtown-Ströme“ eben auch einiges effizienter als heute erfolgen können. Die Dynamik und Vorteile welche Flottenplattformen mit sich bringen, werden sind noch gar nicht richtig greifbar.
Eine lange Liste mit betroffenen Bereichen
Die Liste der betroffenen Bereiche ist indes unglaublich lang. Macht man sich dazu Gedanken, erkennt man, dass es praktisch kein Bereich gibt, der von Autonomem Fahren in Kombination mit Flottenplattformen nicht davon betroffen wäre. Ein kleiner Auszug:
Öffentlicher Verkehr
Der öffentliche Verkehr könnte langfristig im städtischen Nahverkehr komplett auf mittelgroße autonome Busse umgestellt werden. Ein Fahrplan und festgelegte Routen werden obsolet. Der öffentliche Verkehr kann so einiges besser und kostengünstiger auf Nachfrageimpulse reagieren. Durch die Erfahrungsdaten können entsprechende Vorhersagen und Vorkehrungen getroffen werden und ein Verkehrsaufkommen entsprechend antizipiert werden.
Logistik
Die Logistik erfährt durch das autonome Fahrzeug einen ganz gewaltigen Schub. Nicht nur können Waren schneller und sicherer transportiert werden, sondern es fallen viele Kosten weg, da die Anzahl der Leerfahrten reduziert wird. Zudem können z. Bsp. bei kleinen Gütern der Personenverkehr mit dem Güterverkehr vermischt werden. Warum sollten ein autonomes Fahrzeug nicht Menschen zur Arbeit fahren und gleichzeitig auf derselben Route Waren laden oder entladen können?
Versicherungswirtschaft
Versicherungen müssen komplett neue Modelle entwickeln, um menschlich und maschinell gefahrene Vehikel zu versichern.
Automobilindustrie
Unter dem Strich werden viel weniger Fahrzeuge benötigt. Ich glaube die Automobilindustrie ist mit Ihren Wachstumsprognosen auf dem Holzweg. Sie mögen stimmen, wenn das Elektroauto nicht großflächig kommt und wenn das Autonome Fahren nicht in den nächsten 5 Jahren Einzug hält. Dass beides nicht kommt, ist ziemlich unwahrscheinlich. Aus dem simplen Grund, dass beide Technologien fundamental bessere Optionen darstellen. Zudem wird es für die traditionellen Autohersteller schwierig, mit der Art der benötigten Vehikel mit zu halten. Wie einfach es heute ist, eigene Fahrzeuge zu entwickeln und einzusetzen, hat die Deutsche Post Volkswagen letztes Jahr ziemlich eindrücklich gezeigt.
Der Teil des Autonomen Fahrens wird dabei wohl einfach dazu gekauft werden können. Was spricht dagegen, dass Tesla die Hardware von Nvidia, ihre eigene Software und vor allem die Fahrdaten als Service für andere Chassis Hersteller zur Verfügung stellen.
Die Situation wird für die heutigen Autohersteller umso schwieriger, als dass zukünftige autonome Fahrzeuge mit den heutigen Autos wohl nicht mehr allzu viel gemein haben werden.
Ein großes Feld für neue Geschäftsmöglichkeiten
Ich glaube das Autonome Fahren wird eine sehr große Zahl an Möglichkeiten für neue Geschäftsmodelle schaffen. Dabei habe ich nicht unbedingt die großen Konzerne und Player im Blick, sondern viele noch zu gründende Startups. Das autonome Fahrzeug senkt die Kosten für sämtliche „Rides“ radikal. Das ermöglicht neue Konzepte und Geschäftsmodelle, welche bislang aus Kostengründen nicht verfolgt werden konnten. Es ist ganz ähnlich wie mit der Batterietechnologie. Oder dem mobilen Internet.
Wie so oft bei technologischen Durchbrüchen werden die Karten neu gemischt und ausgegeben. Und wer in der letzten Runde die besten Karten hatte, ist gar nicht mehr so relevant. Denn es beginnt wieder ein neues Spiel.
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