Das Unternehmen, wie wir es kennen, ist ein Resultat der Arbeitsorganisation des 18. Jahrhunderts. Es hat sich stetig weiterentwickelt, die Grundzüge blieben jedoch dieselben: Mitarbeiter erbringen in mehr oder minder guter und gut organisierter Zusammenarbeit eine Leistung, welche unter einer Firma verkauft wird. Das dabei entstehende monolithische Gebilde verselbständigte sich in der Wahrnehmung der Gesellschaft. Man sprach von den Interessen der Wirtschaft. In den letzten Jahren wuchs jedoch die Erkenntnis, dass die Wirtschaft ein Teil der Gesellschaft ist und es setzen sich gesamtheitlichere Auffassungen so allmählich durch. Am Ende dieser Entwicklung steht konsequenterweise die Auflösung des Modells «Unternehmen». Schlicht schon darum, weil diese Form der Arbeitsorganisation in einem Umfeld weiterentwickelter Technologie viel zu teuer wird.
(Lesedauer: 4 Minuten)
4 Trends welche das klassische Unternehmen aufweichen
Wenn wir die Entwicklung der letzten Jahre betrachten, fallen mir 4 Trends auf, welche dem Unternehmenskonzept des letzten Jahrhunderts zu wider laufen. Diese Aufzählung ist beileibe nicht abschliessend.
Selbstorganisierte Firmen
Gerade in der IT sind Unternehmen, in welchen sich die Mitarbeiter die Organisation selbst bestimmen, immer zahlreicher. Als eine Art Leuchtturm-Konzept wird oft von Holacracy gesprochen. 2007 vom Unternehmer Brian Robertson als «Best-Practice-Konzept» entworfen, hat es seither beachtliche Bekanntheit und Anwendung gefunden. Was ich in der täglichen Arbeit aber oft antreffe, sind nicht reine Holacracy Organisationsmodelle, sondern meist abgewandelte Formen. Man könnte sie als «Holacracy-But» Modelle bezeichnen. Im Kern geht es immer darum, Entscheidungen breiter abzustützen, Entscheidungswege zu verkürzen und den Mitarbeitern mehr Mitbestimmungsrechte zu geben.
Was jahrzehntelang als Top-Down Organisation die Unternehmenskultur prägte, passt heute immer weniger ins Selbst- und Arbeitsverständnis der Mitarbeiter. Und so manche Führungskraft hat erkannt, dass Entscheidungen in der Regel viel besser ausfallen, wenn sie jene Leute treffen, die unmittelbar mit den jeweiligen Herausforderungen kämpfen.
Diese Art von selbstorganisierten Unternehmen, vor allem in grösseren Scales, ist erst dadurch möglich, dass wir die technischen Hilfsmittel haben, um uns als Organisation so aufzustellen.
Gesellschaftsverantwortung
In einer meiner ersten Betriebswirtschaftslektionen in der Wirtschaftsschule habe ich gelernt, dass der primäre Zweck einer Unternehmung darin bestehe, Geld zu verdienen. Das ist etwas mehr als 20 Jahre her. Und ich glaube die Wahrnehmung über diese Frage hat sich in den letzten Jahren fundamental gewandelt. Natürlich sind Shareholder noch immer wichtig, aber viele Unternehmen, gerade die Technologieunternehmen, sehen ihr Wirken in einem übergeordneten, vielfach philanthropischen Kontext. Das ist sozusagen das äussere Ende dieser Klaviatur.
Eher in der Mitte befinden sich Unternehmen, die von Konsumenten gefordert werden. Sei dies in Bezug auf Gleichstellung von Mann und Frau, Arbeitsbedingungen allgemein und vor allem in Bezug auf Ökologie. Corporate Social Responsibility ist heute eine Selbstverständlichkeit, wenn auch teilweise mit ganz eigenen Interpretationen. Das Thema ist aber wirtschaftsgeschichtlich vergleichsweise jung. So beschäftigt sich die EU offiziell erst seit 2001 damit.
Neue Arbeitsformen
Die letzten 20 Jahre haben die Trennung von Arbeits- und Privatleben zunehmend aufgeweicht. Es ist schwierig zu bestimmen, was in dieser Entwicklung Treiber und Auswirkung ist. Sicher ist jedoch, dass die Gleichstellung von Mann und Frau und dem daraus erwachsenden neuen Bewusstsein, dass Erziehungs- und Haushaltsarbeit zu gleichen Teilen von beiden Elternteilen erbracht werden sollte, neue flexible Modelle fordern. Gerade hoch qualifizierte Mitarbeiter in Technologie entscheiden sich, sobald sie ins Elternalter kommen, bewusst dafür in Teilzeit zu arbeiten. Es ist eine Errungenschaft unserer Zeit, dass dies zunehmend möglich ist.
Was ich auch beobachte, ist, dass viele neue Unternehmer es sich zweimal überlegen, ihr Projekt tatsächlich in eine Firma zu «giessen». Oder Firmenkonstrukte aufbauen, welche ohne Mitarbeiter, dafür aber ausschliesslich mit Partnern, auskommen.
Gerade unter qualifizierten Mitarbeitern stelle ich auch vermehrt den Wunsch nach möglichst diverser Arbeit fest. Nicht dass sie verschiedene Berufe ausüben möchten. Vielmehr ist es so, dass man sich nicht über längere Zeit bei einem Arbeitgeber einbinden lassen will. Das ist eine Entwicklung, die zweifellos früher oder später auch auf minder qualifizierte Arbeitende durchschlägt.
Dezentralisierung in der Wirtschaft
Die Dezentralisierung, oder Decoupling, ist ein Megatrend, den viele in der Wirtschaft heute nicht erkennen. War es früher wichtig Masse zu aggregieren und als Player gross zu werden, ist heute Geschwindigkeit in der Wirtschaft immer wichtiger. Die darunterliegende Logik ist simpel: Früher war Grösse wichtig, weil dadurch Synergie- und Skaleneffekte bespielt werden konnten. Diese Effekte werden durch neue Technologie aber zunehmend substituiert.
Diese Dezentralisierung macht auch gesellschaftlich hochgradig Sinn, denn grosse Unternehmen bergen immense gesellschaftliche Risiken. Zu gut hat mancher die Übungen der Politik aus dem Jahre 2008 unter dem Schlagwort «too big to fail» in Erinnerung. Wenn wir in Projekten, Start-Ups und Produkten vom Konzept des «Fail-Fast» sprechen, sollte das bei Unternehmen nicht Halt machen. Denn die sozialen Gesamtkosten sind wesentlich tiefer, wenn kleinere Unternehmen untergehen.
Ich spreche in dem Zusammenhang gerne von einer «Peer-to-Peer-Wirtschaft». Indem kein Unternehmen gross genug ist, dass es das ganze Netzwerk destabilisieren kann, machen wir die gesamte Wirtschaft sicherer. Ist daher wichtig, das Unternehmen schnell und agil bleiben. Und nicht auf Grösse bedacht sind.
Eine Zeit des Aufbruchs
Wir leben in einer neuen Ära der schnellen Umbrüche. Als Katalysator dieser Entwicklung fungiert der gesellschaftliche Diskurs und natürlich die Politik. Schon alleine darum wird uns das Unternehmen als solches natürlich noch lange erhalten bleiben.
Doch ist es in den letzten 10 Jahren wieder statthafter geworden Bestehendes in Frage zu stellen und Neues zu wagen. Das ist eine gute Entwicklung, die wir auch dringend benötigen. Vor allem hat sich die Wahrnehmung des Wandels dahingehend verändert, dass ihn mehr Leute annehmen und in ihm eine Chance sehen. Und aktiv gestalten.
Das sollte beim Unternehmen nicht Halt machen. Ob sie das jetzt Unternehmen 4.0, Start-Up Kultur, Transformationsmodell oder wie auch immer nennen wollen, ist herzlich irrelevant. Hauptsache wir nutzen die Gunst der Stunde, Veränderungen anzugehen. Und von diesen Veränderungen zu profitieren.
(Dieser Artikel erschien ursprünglich im TopSoft Magazin August 2016)
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