Hier 5 nicht abschliessende und spontane typische Fehler, die ich immer wieder antreffe.
„Die sind Full-Service – die können eben alles“
Es ist verlockend zu glauben, dass die 30-50 Mann starke Agentur alle Leistungen, die ein KMU im Web benötigt, perfekt erbringen kann. So benötigt man weniger Know-How intern, die Kommunikationswege sind kurz. Alle kennen sich. Die Wahrheit ist jedoch, um Full-Service wirklich kompetent erbringen zu können, sind viel mehr Leute notwendig. Unter 100 Mitarbeitern, geschickt verteilt auf verschiedene Bereiche, geht in der Regel nichts. Kommen dann noch verschiedene Produkte und Technologien dazu, kann sich das schnell vervielfachen. Ganz oft ist es viel geschickter, für den strategische und konzeptionellen Teil sowie die Technologieevaluation eine Firma zu engangieren und für die Umsetzung eine andere. Die können dann zwar nicht so viel in der Breite, was sie machen, können sie aber wirklich.
„Ich kann die Offerten sauber vergleichen“
Wenn Sie nicht ein erfahrener Web-Profi sind, sollten Sie sich nicht der Illusion hingeben, dass Offerten vergleichbar wären. Das hat einen guten Grund: Sie werden in der Regel ein Briefing schreiben, mit welchen die Agenturen nicht wirklich viel anfangen können. Sie versuchen ja auch nicht, ein Devis für die Elektroarbeiten bei Ihrem Büroumbau selber zu machen. Das ist in etwas dasselbe. Ich habe in meiner Laufbahn über 2000 Briefings erhalten und erinnere mich an rund 5, von welchen ich denke, sie sind geeignet, um wirklich vergleichbare Offerten zu erhalten. Natürlich können sie Preise vergleichen. Was sie aber dafür bekommen sollen, wird, ganz ohne schlechte Absichten, meist sehr unterschiedlich ausgelegt. Natürlich sollten sie Briefings verschicken und Offerten einholen. Verstehen sie es aber lieber als Teil eines Gesamtbildes, das sie sich von der Agentur machen, um letztendlich Vertrauen in den zukünftigen Partner zu gewinnen (oder eben nicht).
„Ich sage der Agentur schon wie ich es möchte“
Wer kennt sie nicht, diese Briefings, die in einem autoritären Stil, ja manchmal fast ein bisschen von oben herab daherkommen. Oder Briefings, die 400 Seiten stark sind und jedes kleinste Detail durchdefiniert haben. Durch solche Briefings schaffen sie sich konsequent eine falsche Auslese. Denn gute Agenturen haben in der Regel mehr als genug Arbeit. Sie suchen sich die Kunden aus und überlegen sich ganz gut, in welche Offerte sie überhaupt Zeit investieren möchten. Im besten Fall erhalten sie von den guten Anbieter also eine Alibi-Offerte, welche viel Reserven eingerechnet hat. Schlechte Agenturen nehmen in der Regel alle Arbeit an, weil sie halt oft müssen. Und das sind dann die Offerten, die gut ausgearbeitet sind und auf sie einen guten Eindruck machen. Tolle Offerten vom „falschen“ Partner. Begegnen Sie also Ihrem zukünftigen Partner auf Augenhöhe. Behandeln Sie ihn mit Respekt. Lassen Sie seine Kompetenz möglichst früh einfliessen. Und wenn Sie den Auftrag jemandem anderen vergeben, zeigen Sie sich mit einer kleinem Dankeschön erkenntlich. Das wirkt Wunder für zukünftige Kontakte.
„Wir haben 15 Agenturen angefragt“
Leider sieht man auch oft, dass Firmen 10 bis 15 Agenturen für ein Webprojekt anfragen. Dies ist ein unsinniger Ressourcen-Verschleiss auf allen Seiten. Auch haben gute Agenturen Hemmungen Offerten abzugeben, bei denen schon die halbe Schweiz oder Deutschland mitofferieren soll. Denn so viele Agenturen anzufragen, heisst, dass sie sich als Kunde gar nicht wirklich die Zeit nehmen können, um mit dem Anbieter das Projekt in Ruhe zu besprechen. Und es heisst auch, dass der Kunde seinen Job in Sachen Short-Listing nicht wirklich gemacht hat. Das ist halt aufwändig und zeitraubend, gehört aber dazu. Alternativ gibt es ein paar wenige Beratungsagenturen, welche den Markt wirklich gut kennen und helfen können. Eine Shortlist von 5 gut recherchierten Anbietern ist in jedem Fall völlig ausreichend. Es sollten halt einfach die 5 richtigen sein.
„Technik ist nicht so wichtig – Hauptsache die Agentur versteht meinen Brand“
Wenn Sie eine kreative Agentur für Ihre Werbekampagne oder Microsite benötigen, kann das durchaus so sein. Wenn sie aber eine CMS Plattform oder ein eCommerce Projekt in Angriff nehmen, ist der Umgang mit Technologie entscheidend. Die Unterschiede sind gewaltig und der Webbereich in der Softwareentwicklung traditionell die Bastelecke. Verlangen sie von den Agenturen, dass sie detailliert aufzeigen, wie entwickelt wird, wie getestet wird, wie mit zukünftigen Weiterentwicklungen umgegangen wird. Continuous Deployment, Zero Downtime Maintenance, automatisiertes Testing sollten bei grösseren Webprojekten Standard sein. Ein einfacher Test kann hier weiterhelfen: Fragen Sie die Agentur, ob sie hin und wieder für fremde Projekte Qualtitätsexpertisen macht. Kann sie das bejahen, habe Sie es in der Regel mit einem in der Entwicklung führenden Anbieter zu tun. Wenn Sie nun noch mit dem Expertise-Kunden kurz Rücksprache halten dürfen und das Feedback gut ist, sind Sie mit dem Partner auf der sicheren Seite. Zumindest was die Qualität angeht.
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Eine Antwort auf „5 typische Fehler, welche Kunden in der Webagentur-Evaluation oft machen.“
Danke für diesen Beitrag, Alain. Ich denke Du sprichst vielen Betriebspersonen aus dem Herzen. Schlussendlich mache ich die Erfahrung, dass bei den erfolgreichsten Projekten sich der Kunde und die Agentur auf Augenhöhe gegenüberstehen. Wenn nur der Preis eine Rolle Spielt, oder Erwartungen nicht geregelt sind ist das nicht möglich. Ich denke vor allem bei Web Projekten bekommt der Ausdruck „Zusammenarbeit“ ganz spezielle Bedeutung.