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Digital Transformation

100 % sicher ist meist 100 % zu spät

Lange war das kalkulierte Risiko ein fester Bestandteil einer jeden seriösen Unternehmensführung. Interessanterweise gibt es dazu zwei grundlegend verschiedene Betrachtungsweisen: Die einen fokussieren auf den Schaden, der durch ein riskantes Unterfangen eintreten kann. Die anderen fokussieren auf die Eintretens-Wahrscheinlichkeit.

Ich denke beides ist heute schon fast ein Anachronismus. Es ist wieder en vogue Risiken einzugehen. Ja man kann sich in den meisten Märkten schon fast alleine dadurch abheben, überhaupt Risiko zu nehmen. Während ich die Kalkulation des möglichen Schadens einer risikoreichen Initiative als unternehmerische Pflicht erachte, halte ich von Berechnungen von Eintretens-Wahrscheinlichkeit und der darauf basierenden Entscheidung reichlich wenig.

«Self fulfilling prophecy»

Denn je mehr man sich bei einer neuen unternehmerischen Initiative darauf konzentriert, zu wieviel Prozent diese schiefgehen kann, desto mehr tut man, um genau diese Kennzahl zu senken. Auf der einen Seite senkt man dadurch das Risiko zu fallieren, fast immer wird dabei aber zu wenig seriös in Betracht gezogen, dass auch die Erfolgswahrscheinlichkeit sinkt.

Ich habe einige Initiativen und Unternehmungen in den letzten Jahren beobachten dürfen, welche nach genau diesem Muster handeln. Sie haben sich ausnahmslos in eine ungünstige Position gebracht. Und, das sei erwähnt, eine ungünstige Position kann auch eine strategische sein, obwohl das aktuelle Business noch gut läuft.

Diese Konzentration auf das was man verlieren kann, ist eine verwalterische Eigenschaft und keine unternehmerische. Sie führt zur kurzfristigen Sicherung von Bestehendem, was ja per se überhaupt nichts Schlechtes ist. Langfristig schafft diese Denke aber nichts Neues. Keine Adaption, keine neuen Angebote und es wird dazu führen, dass man damit im Markt verliert.

Fokussierung auf das was zu gewinnen ist

Betrachten wir Unternehmer in der Gründerzeit oder zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in den Nachkriegsjahren, scheint uns, dass sie enorme Risiken genommen haben. Ich behaupte, das ist so nicht korrekt, weil sie eben gar nicht viel zu verlieren hatten.

Viele dieser Unternehmen und Unternehmer waren deshalb so erfolgreich, weil sie sich radikal auf das konzentrierten, was es zu gewinnen gab.

Sich gleichzeitig auf das zu konzentrieren was zu gewinnen ist, wenn viel zu verlieren ist, ist in der Tat eine ziemliche Herausforderung. Es bedeutet, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen. Kann fast niemand gut.

Konzept der späten Ernte

Wir sehen gerade am Beispiel der Automobilindustrie, wie schwierig so etwas sein kann. Zum einen hat insbesondere die deutsche Automobilindustrie eine Marktposition die formidabel und hochprofitabel ist – sie hat also enorm viel zu verlieren – auf der anderen Seite bricht der Automobilmarkt langsam aber sicher um. Es gibt also auch sehr viel zu gewinnen.

Die Frage ist, was man in einer solchen Situation tun sollte. Meiner Meinung nach ist es sinnvoll, erhebliche Teile der Gewinne in hochriskante Investitionen zu geben, anstatt sie den Aktionären auszuschütten. Um eben diese neuen Chancen zu nutzen.

Die meisten traditionellen Automobilhersteller haben sich mehr oder weniger einem Konzept der «späten Ernte» verschrieben. Sie wollen so lange warten, bis der Markt ihnen den Weg weist, um dann mit voller (finanzieller) Kraft eine Nachfrage abzudecken.

Fehlende Lernstrecke

Paradoxerweise zeigt die klassische Risikoanalyse und -kalkulation für ein solches Vorgehen ziemlich gute Werte.

Ich glaube jedoch, die Strategie der späten Ernte ist maximal risikobehaftet, denn eine solche Risikobetrachtung externalisiert Umstände, die nur sehr schwer zu quantifizieren sind.

Mehr als alles andere fehlt diesen Unternehmen die Lernstrecke in neue Markt- und Umsatzmodelle. Es ist eben auch als Unternehmen wesentlich, Fehler selber zu machen und selber daraus zu lernen. Das ist nicht toll, aber Grundlage einer jeden Weiterentwicklung.

100% zu spät

Das grösste Risiko ist meiner Meinung nach das, dass man eben nicht mehr in angemessener Zeit auf die Marktveränderungen reagieren kann und ins Abseits gedrängt wird. Man ist schlicht zu spät und hat zu allem Übel auch nicht die Expertise, um in einem veränderten zukünftigen Markt eine relevante Rolle zu spielen. Da helfen am Ende auch große finanzielle Mittel nicht mehr.

Achten Sie also bei allem Respekt vor einem vertrauensvollen Umgang mit unternehmerischen Risiken darauf, dass sie mit der Weiterentwicklung Ihres Business nicht zu spät unterwegs sind. Denn zwar sicher aber zu spät ist trotzdem zu spät.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf dem 2ChangeCulture-Blog von Chris Decker und Ramona Zimmermann.

 

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