Kategorien
Digital Transformation

Was, wenn die Politik das Problem ist?

Meine Kinder haben momentan ein Spiel drauf, das geht folgendermaßen: Sie sagen Dinge wie „Ich mag Schokolade überhaupt nicht“ oder „Wir möchten heute auf keinen Fall gamen“ oder „Wenn wir in Spanien sind, gehen wir nie in den Pool“.

(Lesedauer 5 Minuten)

Das geht dann so lange, bis wir Eltern ganz verwirrt oder erstaunt nachfragen, ob das denn wirklich stimme. Dann rufen sie „Verkehrtwelt“ und freuen sich wie, na ja, kleine Kinder, dass wir Eltern darauf hineingefallen wären. Denn schließlich hätten sie ja in der „Verkehrtwelt“, einer imaginären Welt in der alles verkehrt herum sei, gesprochen. Sehr lustig.

Verkehrtwelt

Dass jemand von der Deutschen Regierung „Verkehrtwelt“ ruft, wünschte ich mir letzte Woche, als verkündet wurde, dass Hans-Georg Maaßen nach verwirrlichen Aussagen und einer unter dem Strich miserablen Performance seines Bundesamtes zum Staatssekretär im Bundesinnenministerium befördert wurde. Ich war gerade in Frankfurt am Flughafen und in der Lounge gibt es diese Fernseher, auf welchen ununterbrochen News gezeigt werden. Die Neuigkeit schlug ein wie eine Bombe und überall hörte man die Leute darüber sprechen. Später kam ich mit zwei älteren Herren ins Gespräch. Der Tenor; „Wir haben 3 Jahrzehnte CDU gewählt. Nun ist es Zeit für die AfD. Die können auch nichts. Aber das hat die CDU verdient“.

Man hat den Eindruck die Politik ist seit ein paar Jahren regelrecht kirre geworden. Das Muster scheint immer dasselbe: Den Ländern geht es verhältnismäßig gut, die Menschen beteiligen sich marginal am politischen Geschehen, sind zunehmend frustriert über das politische Establishment und wählen dann aus Protest die Problemkinder. In Amerika ist dies bereits geschehen, in Italien auch, in Ungarn sowieso und es wird wohl in Deutschland auch so kommen.

Nur Dumme setzen, wenn sie mit mittelmäßigen Fahrern unzufrieden sind, die schlechtesten Fahrer ans Steuer des Busses. Das Ergebnis ist zwangsläufig, dass die Fahrt noch katastrophaler wird.

Nicht die Gesellschaft, sondern die Politik ist das Problem

Lange dachte ich, dass der Gesellschaft die Herausforderungen der schnellen Veränderungen zusetzen, dass dies das Zusammenleben erschwere, vor allem der Umgang mit viel mehr verschiedenen Informationsquellen, der grundsätzlich ja auf simpel bedachten Menschen verunsichert. Und man kann sich darum an jene klammern, die diese Komplexität, meist gegen alle Fakten, herausnehmen.

Mittlerweile habe ich allerdings den schlimmen Verdacht, dass es genau anders rum ist. Dass die Probleme der Gesellschaften hauptsächlich von den jeweiligen Politikbetrieben verursacht werden.

Wir gegen die

Warum das so ist, hat meiner Meinung nach damit zu tun, dass die Politiker fast immer ihr Hauptaugenmerk darauf legen, die jeweils andere Partei zu Verlierern zu machen. Der überwiegende Teil der Energie des Politikbetriebs geht für Stellungskriege und Grabenkämpfe drauf. Beobachtet man das Wirken vieler Politiker, geht es vor allem um Karriere und Partei. Natürlich gibt es auch andere, löbliche Ausnahmen, nur meist haben sie relativ wenig Gewicht.

Diese Kombination aus Spaltung der Lager und Verschwendung der Ressourcen durch Konzentration auf ebendiese Lager hat verheerende Effekte in der Gesellschaft. Durch das weismachen, es seien an Missständen immer „die anderen“ schuld, vertiefen sich die Gräben durch die Gesellschaft. Je populistischer Themen behandelt werden, desto schneller und besser gelingt dies. Und: Jene die sich damit nicht beirren lassen, ja die sind einfach nur frustriert, von einem mit sich selber beschäftigten Politikapparat. Ich denke, mittlerweile ist das die große Mehrheit in jeder westlichen Gesellschaft.

Alles transformiert sich – nur die Politik nicht

Warum das soweit kommen kann, liegt meiner Meinung nach am politischen System, das sich nicht an eine Welt, die sich bedeutend schneller verändert als vor 100 Jahren, anpasst.

Wir sprechen überall, und damit meine ich überall, von Digitaler Transformation, von Agilität, von Optimierung und neuen Konzepten. Nur in der Politik tun wir das nicht.

Zugegebenermaßen, ja es gibt ein paar Anstrengungen z. Bsp. bezüglich e-Voting (das ich in den heute bekannten Ausgestaltungen nicht für sicher genug halte). Nur ist das halt eine Alibi-Übung. Es gibt ja den Spruch „Wenn Sie einen schlechten Prozess digitalisieren, dann haben sie einen schlechten digitalen Prozess“. Das ist hier nicht anders.

Um aus dem Politik-Dilemma herauszukommen, benötigt es meiner Ansicht nach Reformen. Folgende Ansätze könnten dazu gehören:

Anzahl Gesetze

Ein großes Problem ist die Flut der Gesetze, die wir der Gesellschaft aufbürden. Wenn wir so weitermachen, wird man nichts mehr tun können, ohne extremen Aufwand zu generieren. Wir haben uns daran gewöhnt. Aber gesund ist diese Entwicklung nicht. Eine einfache Möglichkeit wäre, die maximale Anzahl der Gesetze zu limitieren, so dass wenn immer ein neues Gesetz implementiert werden soll, ein anderes dafür weichen muss.

Komplizierte Gesetzte

Gesetze und Verordnungen sollten einfach zu verstehen und kaum interpretierbar sein. Ich bin ein großer Fan der 3-Bier-Regel: Die Dinge so zu gestalten, dass ein durchschnittlicher Bürger sie auch nach dem Konsum von drei Bier immer noch versteht. (So sollten Sie übrigens auch Applikationen entwickeln…). Heutige Gesetzte sind meist ohne Bier schon eine Herausforderung.

Amtszeitbeschränkung

Niemand sollte ein politisches Amt länger als 7 Jahre ausüben können. Man kann für eine Sache immer nur eine begrenzte Zeit richtig brennen. Egal was sie tun, nach 7 Jahren ist es meist durch.

Keine Berufspolitiker

Berufspolitiker sollten nicht mehr möglich sein. Zu groß ist die Gefahr, dass diese sich vom Leben in der Gesellschaft entfernen. Jeder Politiker sollte für sein Einkommen direkt verantwortlich sein.

Altersbeschränkung

Nur Personen zwischen 25 und 65 sollten ein politisches Amt ausüben können. Leute unter 25 Jahren riskieren meist zu viel und haben grundlegende einschneidende Erfahrungen im Leben ganz oft noch nicht gemacht. Ich denke aber genau diese Art an Erfahrung braucht es, um Dinge mit großer Tragweite beurteilen, gestalten und entscheiden zu können. Man muss Dinge in Perspektive setzen können. Leute über 65 Jahren riskieren dagegen meist zu weni und bewahren den Status Quo zu stark. Das wiederum führt zu Situationen, wie wir sie heute haben.

Prioritätenliste

Die Politik könnte eine demokratisch festgelegte Prioritätenliste von 20 Punkten führen, über welche alle 12 Monate abgestimmt wird. Themen welche darauf nicht zu finden sind, werden auch nicht bearbeitet.

Ablösung der Parteien

Parteien im heutigen Sinne können durch lose, wechselnde, transparente Interessensvertretungen ersetzt werden. Das tönt erstmal krass. Ich weiß. Aber Parteien sind ein bisschen wie das Faxgerät vor 25 Jahren. Im Moment nicht wegzudenken, aber je mehr Alternativen dazu auftauchen, desto offensichtlicher werden die Nachteile.

Abschaffung des Lobbyismus

Lobbyismus sollte abgeschafft werden. Lobbyismus ist legal organisierte Korruption. Auch in der Schweiz.

Politische Werbung

Politische Werbung in Medien sollte untersagt werden. Es muss mit allen Mitteln verhindert werden, dass mit Geld Meinung gemacht werden kann.

Einführung der Abstimmungs- und Wahlpflicht

Die Bürger könnten zu Abstimmung und Wahl verpflichtet werden. Abstimmen und Wählen könnte zur obersten und einzigen Bürgerpflicht gehören. Der eigentliche Vorgang sollte den Bürgern so einfach wie möglich gemacht werden.

Die B-Mannschaft

Was mich zunehmend besorgt ist, dass politikinteressierte, fähige und im Fachgebiet kundige Leute eine Beteiligung in der Politik kategorisch ablehnen. Ein Kollege hat mir letzthin beim Abendessen unverhohlen seinen Unmut geäußert: „Wer es in der Akademie und Wirtschaft zu nichts bringt, hat in der Politik immer noch sehr gute Chancen“. Das ist natürlich eine fies und populistisch Aussage. Aber ich mochte ihm nur halbherzig entgegenhalten. Zu oft habe ich auf allen politischen Ebenen Leute angetroffen, bei denen schon nach wenigen Worten klar war, dass sie für Denk- und Debattenarbeit nicht geeignet sind.

Während es zum Beispiel in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts in der Schweiz regelmäßig die besten Leute aus der Wirtschaft in die Politik verschlagen hat, haben heutige „Thought-Leader“ meist gar kein Interesse an der Beteiligung in der Politik. Zu klein seien Gestaltungsmöglichkeiten, zu verworren die politische Kultur. Es entsteht so Raum für die „Hau-Draufs“ und schlecht qualifizierten.

Bei all der Kritik soll nicht unerwähnt bleiben, dass ich über all die Jahre aus allen Lagern auch Politiker kennengelernt habe, die ehrliche, aufrichtige und harte Arbeit zum Wohl der Schweiz leisten.

Sinn fürs Gemeinwohl

Allgemein ist dem Politikbetrieb der Sinn fürs Gemeinschaftliche abhanden gekommen. Man entwickelt eine Gemeinschaft, und ein Land ist nichts anderes, nicht in dem man Leute mit anderen Überzeugungen überstimmt oder übergeht. Man bekriegt und bekämpft sich in einer Gemeinschaft nicht. Wenn man gar nicht mehr mit dem Leben kann, was in einer Gemeinschaft geschieht, tritt man aus.

Das Mittel um Gemeinschaften zum Erfolg zu führen, ist der Kompromiss. Er ist für das Ego der Preis, den es zu bezahlen hat, um an den Vorteilen, die einem durch die Gemeinschaft entstehen, partizipieren zu können. Man scheint all das heute vergessen zu haben. Und wir haben ein politisches System, dass dieses „Gegeneinander“ perfekt unterstützt.

Kompromisse, gerade sehr schwierige, werden erst dann möglich, wenn sich die Leute mit Respekt begegnen. Das heißt nicht, dass man beste Freunde sein muss. Es heißt aber, dass man jedem mit Anstand und Würde begegnet. Wenn ich Martin Schulz über die AfD Leute herziehen höre, wie er sie beleidigt, dann habe ich zwar wenig Mitleid, aber finde das halt nicht ok.

Respekt gegenüber anderen

Zum einen weil man einfach aus Prinzip niemanden so herunter-würdigt und weil es genau diese Art von Wortmeldungen sind, die diese Leute nur darin bestärken, dass die Welt gegen sie ist. Und genau das ist das Narrativ, von dem diese Partei lebt. Es ist also einfach doppelt dumm, so etwas zu tun. Viel besser wäre, diese Kritiker und Populisten radikal in die Pflicht zu nehmen. Sie ernst zu nehmen – auch wenn es mir auch gegen den Strich geht – ist unsere Pflicht.

Wie man das macht, hat der kürzlich verstorbene John McCain im Wahlkampf gegen Obama damals eindrücklich gezeigt. In einem Townhall-Meeting von einer Teilnehmerin darauf angesprochen, dass man Obama nicht wählen könne, weil der kein richtiger Amerikaner sei, entgegnete dieser scharf: Obama sei ein rechtschaffender, ehrbarer Amerikaner wie er selber auch, nur sei seine politische Agenda für Amerika eine andere. Solche Äußerungen sind kein Zeichen von Schwäche. Im Gegenteil. Sie sind Zeichen eines Demokratie- und Gemeinschaftsverständnisses, das grösser als der eigene Horizont ist.

Artikel auf Social Media teilen:

Eine Antwort auf „Was, wenn die Politik das Problem ist?“

Alain, ich bin mit ziemlich allem was du in deinem Artikel schreibst einverstanden. Einzig das mit der Lesedauer müssen wir ernsthaft diskutieren!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert