Als ich vor ein paar Wochen mit Michael Stucki beim Lunch war, hatte ich gerade den Post zur Pressekonferenz von Faraday Future live geschaltet und er fragte mich, warum ich mich denn so für die Automobilbranche interessiere. Diese Frage habe ich seither immer mal wieder gestellt bekommen und dabei gemerkt, dass die meisten Leute nicht realisieren, dass in dieser Industrie im Moment geradezu exemplarische Veränderungsprozesse im Gange sind, welche durch Kultur und neue Technologie getrieben sind.
(Lesedauer: 5 Minuten)
BMW, BMW, BMW
Manchmal bereue ich ein wenig, dass ich den Artikel über meine Enttäuschung in Sachen BMW geschrieben habe. Denn ich werde jetzt oft darauf angesprochen. Von Leuten, die von BMW irgendwie verärgert wurden («Skandal, die haben beim Servicetermin meinen Kofferraum nicht staub gesaugert»), Leute, die mich überzeugen wollen, dass es keine besseren Autos gibt und Leute, die einfach einen Goliath-Komplex haben und alles Grosse tot sehen wollen.
Mit all dem habe ich nix gemein. BMW ist weder doof noch verloren. Meine Enttäuschung ging eher in die Richtung, dass BMW sehr lange Zeit technologische Innovationen vorangetrieben und konsequente Entscheidungen in vielen Bereichen gefällt haben. Diesen Pfad haben sie verlassen. Was man heute von BMW bekommt, ist qualitativ hochstehendes Mittelmass, zu einem erhöhten Preis (Brand-Agio).
Wie konnte es dazu kommen?
Die Gründe sind vielfältig. Aber eben doch typisch für Branchen, die sich nicht mehr an echte Innovationen wagen, sondern nur noch inkrementelle Verbesserungen eines Produktmodells vorantreiben. Die Gründe sind, nicht abschliessend, folgende:
Erfolg
So komisch das auch tönen mag, aber eines der grössten Probleme in Sachen Innovation und Neu-Erfindung von Produkten ist ein Geschäft, das richtig gut läuft. Das hat zwei Dimensionen: a) die Angst ein bestehendes Geschäft zu verlieren und vom Erfolgspfad abzukommen und b) die grundsätzliche Veranlagung des Menschen sich dann weniger anzustrengen, wenn etwas gut läuft.
Die sehr seltene Ausnahme sind Unternehmer und Firmen, die neues aus einer Position der Stärke heraus entwickeln. Zwar schwafeln alle viel davon, sieht man sich aber tatsächlich die Unternehmen an, die vorwärtsgehen, finden wir wenige, die erfolgreich und stark sind. Es sind eher jene, die etwas tun müssen. Entweder weil sie ganz neu sind oder weil ihr Geschäft bedroht ist.
NIH-Syndrom
Das Not-Invented-Here Syndrom ist weit verbreitet. Teilweise wird zwanghaft versucht, neue Wege zu gehen, wo es im Moment einfach keine neuen braucht. Gewisse Konzepte sind einfach gut und akzeptiert und können kopiert und sinnvoll eingesetzt werden. So zum Beispiel das Bedienkonzept über einen großen Trouchscreen. Das hat nicht etwa Tesla erfunden, sondern es hat seine Feuerprobe im iPhone schon lange bestanden. Das zu kopieren und im Auto einzusetzen, ist weder bahnbrechend noch genial. Es ist ganz einfach der logischste Schritt, um das Problem der Bedienung zu lösen. Es gibt keine objektiven Gründe, warum das BMW und co. nicht hätten tun können.
Festgefahrenes Produktdenken
Ein weiterer Punkt ist ein festgefahrenes Produktdenken. Manchmal kommt es einem so vor, als müsste ein Auto einfach einen Verbrennungsmotor haben. Vergleichen wir aber physikalische Grundlagen, wird jedem sehr schnell klar, dass der Elektromotor grundlegende Vorteile hat.
Warum wurde entlang dieser Grundlagen, gerade im Zug des Emissionswertzwangs, nicht neue Konzepte erarbeitet. BMW sowie auch die anderen Hersteller hatten rein sachlich gesehen, die viel besseren Voraussetzungen ein Auto nach dem Schlage zu bauen als Chevrolet und Tesla.
In einem Artikel der letzten Woche schrieb ich, dass Branchen Trampelpfade sind. Und ich denke, das kommt hier auch wieder zum Tragen. Es fehlt anscheinend an Kultur und Mindset, über das eigene Produktkonzept hinauszudenken.
Me-Too Digitalisierung & Innovation. Juhui!
Und jetzt, aufgeschreckt durch Tesla, sprechen alle von Digitalisierung, der Mobilität der Zukunft, Elektromobilität und softwaregetriebenen Konzepten. Das ist erstmal gut. Denn nun kommt Bewegung in die Branche.
Und Konkurrenz und damit am Schluss bessere Konzepte für den Kunden. Denn gerade viel fundamental Besseres wurde in der letzten Zeit leider nicht hervorgebracht. Es wäre viel mehr drin gelegen.
Wenn aber jetzt Harald Krüger davon spricht, dass er bis in 5 Jahren tausende zusätzliche Software-Engineers bei BMW haben will und dass die Strategieausarbeitung geschlagene 18 Monate dauerte, dann kommt bei mir schon ein arg mulmiges Gefühl auf. Ist die Anzahl Leute in einem Bereich ein ernstzunehmender KPI? Ich denke nicht. Allerhöchstens ein Indiz. Und die 5 Jahre Zeitdauer? Entspricht in etwa der Zeit in welcher Tesla das Model S entwickelt hat.
„5 Jahre sind das neue 15 Jahre.“
Aber in der Corporate-Welt von Krüger ist das leider noch nicht angekommen.
Und darum ist es eben leider (kein Zynismus) auch nicht sehr wahrscheinlich, dass er mit seinem Unternehmen in dieser neuen Zeit der Automobilbranche eine erhebliche Rolle spielen wird. Als Investor bekäme ich ab solchen Aussagen jedenfalls extrem kalte Füße.
Alle Technologien sind relevant!
Und es wird heute im Autobereich viel über die Digitalisierung gesprochen und das ist ja nicht falsch. Ich befürchte aber ein wenig, dass andere Technologien erstmal vernachlässigt werden. Im Moment sind digitale Technologien Prio 1, weil wir einfach noch ganz viele Apparate und Maschinen haben, welche noch nicht softwarebasiert organisiert sind.
Das muss alles nachgeholt werden. Klar. Aber es ist eben nicht alles. Eine Kombination von verschiedenen Technologien wird uns in Zukunft Verbesserungen von ungeahntem Ausmaß bringen. Da zeichnet sich schon die Disruption der Disruption ab.
Anschauungsunterricht
Das ist alles daher interessant, weil die technologische Entwicklung eine festgefahrene Branche entsprechend verändert. Für die meisten Akteure war diese Entwicklung in gewisser Weise absehbar. Aber gerade die Branchenleader haben es nicht geschafft, Treiber dieser Entwicklung zu werden.
Das ist ein Spiel mit unklarem Ausgang und potentiell hohen sozialen Kosten. Und in Bezug auf Tesla eines mit ungleichen Spießen. Zum einen weil Tesla viel weniger Mittel hat und zum anderen aber auch weil Tesla nicht dieselben Ziele wie die klassischen Autokonzerne hat.
Kein Winner-Takes-it-All-Spiel
Zudem ist es sicher auch kein Winner-Takes-it-All-Spiel. Und es ist auch alles andere als klar, ob Tesla als wirtschaftlicher Profiteur aus dem sich in der nächsten Zeit abzeichnenden Kampf hervorgeht. Im Gegenteil. Die Chance, dass Pioniere auch wirtschaftlich durchschlagen, ist nicht besonders groß.
Es bleibt also spannend. Das nächste Kapitel wird Ende Monat aufgeschlagen. Dann will Tesla sein Volksmodell Model 3 vorstellen. Zu Preisen um die EUR 32‘000. Dieses Modell wird zusammen mit dem Chevrolet Bolt (Opel Ampera-e) zur Nagelprobe in Sachen Antriebstechnik und Konzept im Automobilmarkt. Und damit auch zur Bewährungsprobe für BMW und Co, die dem bislang nichts Vergleichbares entgegensetzen konnten.
Eine weitere Runde dieser „Spiele sind also eröffnet“. Bis jetzt sahen wir in jeglicher Hinsicht großes Tennis! Und es wird wohl nur besser werden.
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Eine Antwort auf „Perpetual Disruption: Anschauungsunterricht in der Automobilbranche“
absolut zutreffender Bericht! Wir haben vor mehr als 10 Jahren bei Audi ein Gespräch zum Thema Touchscreen gehabt. Da sagte man uns, das sich dies wegen der hässlichen Fingerabdrücke nicht am Markt platzieren lässt…
all das was Sie beschreiben finden wir tagtäglich in den Chefetagen vieler deutscher Mittelständler. Und dann noch untermauert von den Entwicklungsabteilungen die Ihre Felle davon schwimmen sehen. Also selbst wenn ein CEO mal den Mut hat neue Wege zu gehen, muss er damit rechnen aus den unteren eigenen Reihen torpediert zu werden. Unser Problem in Deutschland ist die Geisteshaltung! Alles haben wollen, nichts riskieren!