Anscheinend gehört es heutzutage zum guten Ton, als europäischer Manager und/oder Politiker ins Silicon Valley zu reisen, um sich dort „inspirieren“ zu lassen. Wieder zurück, gibt man dann so Sätze von sich wie „Ich komme gerade von einem Trip vom Silicon Valley zurück und es ist [hier bitte beliebigen Superlativ einfügen] beeindruckend…“. Dass das Silicon Valley „cool“ ist, wissen wir schon lange. Neu ist, dass sich mit Politikern und Old-Economy-Leuten gerade die Leute dafür begeistern, die für die etwas zurückgebliebene Tech- und Startup Kultur in Europa in hohem Masse mit-verantwortlich sind.
(Lesedauer: 6 Minuten)
Regionales Beispiel
Der Auslöser für diesen Artikel war letzten Endes ein Interview mit dem CEO Beat Oberlin der Lokalbank BLKB hier in der Schweiz. Er leitet ein Institut, das solide wirtschaftet, als eher konservativ gilt, sich jedoch in den letzten Monaten auch mit ein paar neuen Konzepten in der Schweizer Bankenszene Gehör verschaffen konnte.
(Blick über das Baselland, Schweiz)
Vorangegangen war dem Interview der jährliche „Neujahrsapéro“, eine Art „Stell-dich-ein“ der lokalen Wirtschaft. In einer Ansprache des Leiters der (privaten, selbsternannten) Wirtschaftskammer, forderte dieser den Kanton (vergleichbar mit dem Bundesland) auf, bei der Bildung und der Kultur mehr zu sparen. Dass der Kanton sparen muss, ist unbestritten, wurde er die letzten Jahre finanziell doch arg heruntergewirtschaftet.
In der Ansprache von Bankleiter Beat Oberlin an selbigem Anlass plädierte dieser jedoch dafür, mit der Streichung von Bildungs- und Kulturbudgets aufzuhören, weil wir damit, Zitat: „auch einen Teil unserer Zukunft und Identifikation streichen“. Sparen ohne Perspektive bewirke ganz sicher keine Aufbruchsstimmung, aber genau diese hätte diese Region dringend nötig.
Diese Art von Widerspruch aus dem vermeintlich selben Lager ist natürlich ein gefundenes Fressen für einen Lokaljournalist. Darum das Radiointerview. Und auch Beat Oberlin braucht denn auch keine Minute, bis er von seinem Silicon Valley Trip schwärmt. Seine Schlussfolgerungen und Empfehlungen sind meiner Meinung nach jedoch wegweisend und haben weit über die Schweiz Gültigkeit. Ein paar seiner Punkte:
Wissen ist zentral für die Bildung von neuen Geschäftsmodellen.
Der Aufbau von Wissen und Bildung sei zentral für die Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen. Diese Entwicklung sei eine zentrale Herausforderung der kommenden Jahre. Soweit keine Neuigkeit. Wo es üblicherweise bei Lippenbekenntnissen bleibt, gerade aus der Wirtschaft, steht er hin und fordert konkret bei der Bildung keine Abstriche zu machen.
Cluster von Bildung, Forschung, Entrepreneurship
Dieser Erkenntnis folgend gehe es darum, einen entsprechenden Cluster aus Bildung (Universitäten/Instituten), Forschung und Unternehmertum zu etablieren. Nur so könne sinngemäß eine Region schließlich neue Technologie entdecken, mitgestalten und in wirtschaftliche Lösungen umsetzen.
Ausbrechen aus engstirnigem „Rückzugsdenken“
Es benötige aber auch ein Ausbrechen aus engstirnigem „Rückzugsdenken“ (Schweiz. „Reduitdenken„). Innovation vertrage keine Abschottung und man sehe diesbezüglich einen schädlichen Populismus überall in Europa.
Einen gemeinschaftlichen Ansatz in der Politik
Die Konkordanz sei ein zentraler Bestandteil erfolgreicher Politik. In einer solchen Konstellation soll kein Akteur (resp. Partei) seine Maximalforderungen durchsetzen können. Er sei auch nicht sicher, ob die Raster von Links und Rechts nicht überholt seien. Es brauche ein Zusammenraufen und ein Einbezug aller Ideen und Aspekte, um neue und gute Lösungen zu schaffen. Eine souveräne Mehrheit beziehe die Minderheit immer entsprechend mit ein.
Wer das Interview, leider nur in Schweizerdeutsch, nachhören will, kann das hier tun.
Bemerkenswerte Voten
Ich finde das sind bemerkenswerte Voten. Da ist kein blinder Neoliberalismus, kein übliches „Wir-müssen-die-Wirtschaft-stärken“ – Blabla – auf der anderen Seite aber auch keine sozial-romantischen Illusionen. Sondern es ist ein Aufruf zu mehr gemeinsamer Arbeit. Zu Offenheit und für einen Aufbruch in ein neues Zeitalter.
Politik behindert nicht nur die Wirtschaft, sondern den Fortschritt, auch den gesellschaftlichen
Warum es überhaupt zum vordergründigen Clash zwischen einem „Wirtschaftsvertreter“ und einem zweiten „Wirtschaftsvertreter“ gekommen ist, liegt an der perfiden Verstrickung von Wirtschaft und Politik. So ist denn der Vertreter der Wirtschaftskammer vornehmlich Politiker, seine Aussagen am Event waren politisch, obwohl er sich als Wirtschaftsvertreter gibt. Und da fängt das Dilemma an. Und auch das halte ich für symptomatisch für Europa.
Ich bemühe hier keinen weiteren Vergleich zwischen Silicon Valley und europäischer Start-Up Kultur. Es ist in vielen Bereichen unglaublich sinnlos das zu tun, weil alle Grundvoraussetzungen unterschiedlich waren/sind.
Genau so sinnlos ist auch, ein zweites Silicon Valley aufbauen zu wollen. Denn wer meint Silicon Valley könne mit staatlichen Programmen aufgebaut werden, täuscht sich. Wo überall sich gewisse Tech-Zentren gebildet haben (die dann auch Valleys genannt werden – z. Bsp. das Silicon Wadi in Israel oder Silicon Savannah) – nie war ein solider politischer Plan Ursprung der Bildung eines Zentrums.
Im Gegenteil: Nach bald 20 Jahren Erfahrung als Unternehmer und Start-Up-Mensch komme ich zum Schluss, dass die Politik das Schaffen von Neuem in der Wirtschaft mehr behindert als fördert. Das hat zwei Ursachen:
Besitzstandwahrung
Durch die Verzahnung von Politik und Wirtschaft können die bestehenden Branchen eine politische Besitzstandwahrung durchsetzen. Was heute als Lobbyismus salonfähig und legal ist, muss aus entfernter Perspektive als ein „System institutionalisierter Bestechung“ angesehen werden. Ich weiß schon, dass das drastisch tönt.
Aber wir haben hier in der Schweiz ganz viele gute Beispiele, wo Branchen und große Firmen politische Entscheide maßgebend zu Ihren Gunsten beeinflussten/beeinflussen. Das ist für Start-Ups fatal, denn dadurch kann sich das „Bestehende“ gegen neue Player besser juristisch absichern.
Ein solches Konstrukt ist pures Gift für wirtschaftlichen und sozialen Wandel. Neue und wirklich innovative Ideen führen immer zum Umbruch von bestehenden Branchen. Es fehlt eine starke Lobby für Start-Ups. Die Wirtschaftsverbände, gerade die, sind das nicht im Geringsten.
Regulationswahn
In jeder Tätigkeit bisher stoße ich immer wieder auf unglaublich komplizierte und unnötige Regulatorien, die nichts bringen außer viel Arbeit. Ein Beispiel gefällig? Das Handling des Verpflegungsmehraufwands in Deutschland. Lesen Sie drüber und spüren Sie den ganzen Wahnsinn, mit dem Unternehmer heute konfrontiert werden.
Sie können eine noch so schnelle Auffassungsgabe haben. Ich behaupte, sie können das Reglement nicht in einem Wisch durchlesen und nachher korrekt wiedergeben. Und damit soll man arbeiten. Über den negativen Impact solcher Verordnungen macht sich anscheinend niemand Gedanken. Will man in Europa mehr Leute zu Unternehmern machen (was die Politik ja will), gehören solche Dinge unverzüglich abgeschafft.
Das heisst aber bitte nicht, dass wir gar keine Regulation brauchen. Im Gegenteil. Natürlich benötigen wir Regeln, die Minderheiten schützen, die Rechte von Arbeitnehmern sicherstellen, Ordnung und Transparenz schaffen und Missbrauch verhindern. Aber die Regeln sollen Mittel zum Zweck sein und die Unternehmen nicht unnötig belasten und demotivieren.
Die Politik würde also gut daran tun, gute Grundbedingungen zu schaffen, sprich in erster Linie Infrastruktur, und sich weitgehend aus dem wirtschaftlichen Geschehen im Detail rauszuhalten.
Es ist unter anderem diesem Umstand geschuldet, dass sich die Start-Up Szene in der Regel relativ wenig um bestehende Gesetze kümmert. Das heißt nicht, dass sie diese brechen würde. Sondern, dass bei der Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen die gesetzlichen Vorbedingungen erstmal vernachlässigt werden. Dies im Vertrauen darauf, dass das was den Endkunden einen Vorteil bringt, sich schlussendlich auch in gesetzlichen Veränderungen niederschlagen wird. Wohlbemerkt ein Graubereich.
Viele Start-Up Leute sind weitgehend politikbefreit. Nicht weil sie sich nicht für Gesellschaft interessieren würden, sondern weil sie keinen Wert im politischen Geschehen für die Zukunft sehen. Verschärft wird das zusätzlich durch den Umstand, das die wirklich guten Leute bewusst nicht in die Politik gehen.
The promised land
Silicon Valley hat, auch dadurch, nichts von seiner Anziehungskraft verloren. Von vielen Start-Ups war an der Hub15 zu hören, dass es eigentlich besser wäre, in die USA zu gehen. Gründe warum man dann doch in Berlin, oder besser in London, bleibt, sind meist persönlicher oder, sagen wir mal, nationalromantischer Natur.
(Blick über das Silicon Valley, USA)
Das man sich der Scholle, auf der man geboren ist verpflichtet fühlt, ist in den USA nicht Teil der Kultur. Entsprechend wendiger und schneller ist man dort in Entscheidung und Ausführung.
Das ist Teil dieses Kulturunterschieds der zweifellos besteht und den wir bitte auch nicht ändern wollen, weil es aussichtslos ist.
„Europa, und Deutschland und die Schweiz im Besonderen, haben genug eigene Stärken und Werte, auf denen sich eine großartige technologische Zukunft aufbauen lässt. Nur, durch das permanente Vergleichen und Nacheifern mit und nach Silicon Valley wird das nicht zustande kommen.“
Ich habe mich schon ein paar Mal gefragt, warum ich nicht ins Silicon Valley gehe. Oder was ich heute arbeiten würde, wäre ich vor 10 Jahren gegangen. Zweifellos habe ich spannende Jahre in der hiesigen Digitalbranche erlebt und vieles mitgestalten können. Und auch der Erfolg blieb nicht aus. Ich habe eigentlich nicht den leisesten Grund mich zu beklagen.
Bildung zählt: Für Fortschritt und Friede
Andererseits: Eine Antwort auf diese Frage habe ich bis heute nicht wirklich gefunden. Natürlich, da sind die persönlichen Umstände. (Die dann aber bei genauer Betrachtung doch nicht so schwer wiegen – Haus verkaufen, Firmen, Freunde & Familie weiter weg, etc.).Warum ich gehen würde, ist indes klar: Um mit mehr Menschen, die an eine bessere Zukunft durch Technologie glauben, zusammen arbeiten zu können.
Und da sind wir wieder bei der Bildung, die genau solche Leute schafft. Nein, wir tun uns keinen Gefallen mit dem Sparen in der Bildung. Das darf bitte nicht damit verwechselt werden, dass wir Bildung nicht auch effizienter gestalten sollten.
Aber wenn Europa will, dass die neue Generation von Unternehmern ihre Kraft hier auf den Boden bringt, muss es zusehen, dass die Bildung Top-Notch ist. Und, dass der unnötige Regulationswahn ein Ende hat. Ich bin nicht sehr zuversichtlich, dass dies auch gelingt und es ist für mich persönlich keinesfalls klar, dass ich auf ewig hier weiter wirke und werke. Es hängt eher davon ab, wie sich die Rahmenbedingungen entwickeln.
Darum ermuntern mich solche Aussagen wie jene von CEO Beat Oberlin. Wir können ihm, stellvertretend für alle die einstehen für eine gemeinschaftlich gute Zukunft, nur dankbar sein.
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