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Unternehmensmodell des Digitalen Zeitalters: Das Agile Unternehmen!

Darüber, dass der technologische Fortschritt die nächsten Jahre enorm verändern wird, habe ich mittlerweile schon viel geschrieben. Was uns dabei alle beschäftigt, ist zum einen wie eine Gesellschaft mit raschem Wandel umgeht, ohne mit ihren jeweiligen zeit-geistlichen Werten zu radikal zu brechen. Zum anderen, und das ist ein Kernthema der Digitalen Transformation, beschäftigt uns vor allem die Frage, wie Unternehmen in Zukunft aufgestellt sein müssen, um aus dem Wandel Kapital schlagen zu können. Im folgenden Artikel möchte ich dazu ein paar Punkte näher bringen.

(Lesedauer 6 Minuten)

Es wird nach und nach klar, dass Unternehmen in immer kürzeren Zyklen auf eine veränderte Ausgangslage und ein verändertes Umfeld reagieren können müssen. Die Formel für diese Logik ist banal: Wenn es in den 60er Jahren genügte, sich auf einen Horizont von 20 Jahren weiterzuentwickeln, entsprechen diese 20 Jahre heute 5 Jahren (Richtwerte). Ausschlaggebend ist dabei, wie schnell die Masse eine Technologie adaptiert. Ein paar Beispiele dazu: Anzahl Jahre, die es brauchte, bis die Technologie in der breiten Masse verwendet wurde:

Übersicht Massenadaption Technologie

Wie muss also ein Unternehmen aussehen, dass in diesem Umfeld bestehen kann? Klar ist, dass die bisherigen starren Modellen mit großen, starren Hierarchien und fix definierten Prozesse kaum fähig sind, diesen Wandel mitzugehen. Die Anpassung dieser Organisation würde dermaßen viel Aufwand und Kommunikation erfordern, dass die Unternehmung nicht wirtschaftlich operieren kann. Zudem, wäre sie einfach immer zu langsam.

Das Agile Unternehmen

Wir brauchen also eine neue Form von Unternehmen. Das einzige Modell, dass für mich diese Anforderungen erfüllt, ist das Agile Unternehmen. Verwechseln Sie jetzt bitte „Agile“ in diesem Kontext nicht mit der Projektmethodik. Natürlich ist es nahe liegend als agiles Unternehmen auch mit agilen Projektmethoden zu arbeiten, aber bis auf die Begrifflichkeit müssen die beiden Dinge nicht zwingend miteinander gehen.

Das Modell des Agilen Unternehmens ist noch nicht soweit gefestigt, dass viel Literatur darüber bestehen würde, noch nicht einmal einen Wiki-Eintrag gibt es dazu. businessdirectory.com führt jedoch eine runde Definition:

Fast moving, flexible and robust firm capable of rapid response to unexpected challenges, events, and opportunities. Built on policies and processes that facilitate speed and change, it aims to achieve continuous competitive advantage in serving its customers. Agile enterprises use diffused authority and flat organizational structure to speed up information flows among different departments, and develop close, trust-based relationships with their customers and suppliers.

Als dieser Artikel gedanklich entstand, habe ich lange nach Unternehmen gesucht, welche schon so organisiert sind. Und wie das so ist, sieht man manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht. Das ging mir in dem Fall nicht anders und ich realisierte daher erst spät, dass wir bei AOE ja genau so aufgestellt sind. Nicht, dass wir diese Themen intern nicht besprechen würden, aber es fühlt sich bereits so normal an, dass ich dem Umstand keine große Bedeutung zumesse im täglichen Leben. Ich möchte daher anhand unserer Firma aufzeigen, welche Komponenten ein agiles Unternehmen beinhaltet und was dabei gut und schlecht läuft.

Teams statt Hierarchien

Es gibt bei AOE keine Hierarchien. Es gibt dafür Teams. Ein Team ist ein Verbund von Mitarbeitern, die sich selbständig organisieren, um ein Leistung zu erbringen. Diese Leistung kann z. Bsp. ein Kundenprojekt, Marketing, Office-Keeping, HR oder was auch immer sein. Immer wenn etwas erreicht werden soll, nimmt sich eine Gruppe von Leuten diesem Ziel an. Dabei soll es im Rahmen des Machbaren möglich sein, von einem Team in ein anderes zu wechseln. Das heißt, die Mitarbeiter organisieren sich selber, übernehmen Verantwortung für Teamleistungen und suchen sich ihre Arbeit selber aus. So werden Urlaube nicht zentral genehmigt, sondern die Mitarbeiter sprechen sich im Team ab und fehlen dann im Team, wenn es ihnen und dem Team passt. So wird in einer kleinen Einheit situativ entschieden und abgewägt. Der administrative Overhead z. Bsp. der Urlaubsplanung beschränkt sich auf das Logging der bezogenen Tage.

Teams sind in Bezug auf Kundenprojekte natürlich ziemlich fix und müssen eingespielt sein, um in unserem Fall komplexe Omni-Channel-Plattformen bauen zu können. Teams können aber auch eher ad-hoc entstehen, wenn irgendwo Handlungsbedarf erkannt wird. Meist erkennen ein paar Leute Handlungsbedarf und daraus entstehen Side-Teams, die sich vorübergehend einem Thema annehmen. Institutionalisiert wird dieser Prozess durch den „Open Friday“ (kommt später im Artikel).

Stellenwert des Managements

Wer das Wort Management hört, denkt unweigerlich an Porsche, Nadelstreifenanzüge, Business-Class Flüge, nie im Office sein, endlose interne Terminvereinbarungen, etc. Ich habe lange Zeit meines beruflichen Wirkens ein starkes Top-Down Management gelebt und ganz ehrlich, ich war damit nur mäßig erfolgreich. Viel zu fordern, strikt, konsequent und hart aber fair zu sein, sind Attribute eines patriarchalischen Führungsmodells. Als Management-Mitglied müsse man über eine persönliche und fachliche Autorität verfügen, um effektiv zu führen, wird einem noch heute in der Lehre vermittelt. Ganz ehrlich, ich denke mittlerweile, dass das Quatsch ist. Die Zeit ist schlicht vorbei.

Als Führungsbeauftragter einer Unternehmung führt z. Bsp. das Paradigma der fachlichen Autorität mitunter dazu, dass tendenziell Leute eingestellt werden, welche fachlich schwächer sind als Ihre Vorgesetzten. Die Organisation bleibt so hinter ihrem Potential zurück. Ist es nicht viel besser, als Führungsperson Mitarbeiter einzustellen, die fachlich besser sind, als einen selbst und dann auf dem gemeinsamen Weg fachlich von seinen Kollegen zu lernen? Dafür muss man die Mitarbeiter machen lassen, auch wenn man als Führungsperson zeitweise nicht mehr genau beurteilen kann, ob etwas fachlich richtig oder falsch ist.

Kontrolle ist gut. Vertrauen ist besser.

Es bedingt ein grosses Mass an Vertrauen in die Mitarbeiter so zu handeln. Und entstehen Probleme tut man gut daran, möglichst vorurteilsfrei ranzugehen. Es heisst ganz einfach sehr viel in den Recruitment Prozess zu investieren und wenn dann eine Entscheidung für einen Mitarbeiter gefallen ist, diesen zu fördern, den Weg frei zu machen und Vertrauen zu haben, dass der Mitarbeiter sein Potential entfaltet. Ich sehe bei uns tagtäglich, dass das funktioniert.

Verständnis von Management: Servant Leadership

Unser Management umfasst offiziell 4 Personen auf 200+ Mitarbeiter. Die Rolle des offiziellen Management ist es dabei, die Bedingungen für die Mitarbeiter möglichst gut zu gestalten. Dies wird in der AOE bisweilen bis nahe an eine gewisse wirtschaftliche Schmerzgrenze gelebt. Dazu gehören eine Fülle von Benefits für die Mitarbeiter. Von der Thai-Massage über die Mittagsküche, automatische Lohnerhöhungen, bezahlte Ski-Touren für die ganze Firma und so weiter und so fort. Dabei muss man wissen, dass wir ja nicht ein unerschöpfliches Geschäftsmodell haben, das einfach so à fond perdu Gewinne generiert. Im Gegenteil. Wir müssen uns wie alle IT-Dienstleister im globalen Markt behaupten. Das bedeutet, dass diese Benefits ganz konkret zu Lasten von Reingewinnen gehen. Man muss daher als Unternehmer Servant Leadership nicht nur als Führungsmethode sehen, sondern ideologisch dahinter stehen. Langfristig, und das sage ich auch mit Blick auf eine sensationell tiefe Fluktuation, bin ich überzeugt, dass sich Servant Leadership auch wirtschaftlich lohnt.

„Ein Servant Leader liebt Menschen und möchte ihnen helfen. Die Mission des Servant Leaders ist es daher, die Bedürfnisse anderer zu identifizieren und zu versuchen, diese Bedürfnisse zu befriedigen.“

Kent Keith, CEO Greenleaf Center for Servant Leadership

Servant Leadership sehe ich als integraler Bestandteil des agilen Unternehmens. Ich wüsste nicht, wie man eine schnell wandelnde Unternehmung sonst führen könnte, ohne das Management permanent zu überfordern.

OpenFriday

Die Firma weiterzuentwickeln, ist traditionell Aufgabe des Managements. Das heisst, es wird möglichst ganz oben und mit externen Beratern eine Strategie ausgearbeitet, die dann top-down umgesetzt wird. Sie kennen sicher die Sprüche der Mitarbeiter in den Abteilungen, dass diese da oben wieder etwas entschieden haben und es alle für absurd halten. Dabei sind ja wohl nicht alle strategischen Überlegungen falsch oder gar absurd, im Gegenteil. Da sie aber ganz oben erarbeitet wurde, sind sie für die Belegschaft zumindest anfangs immer schwer nachvollziehen. Dafür braucht man dann in grösseren Unternehmen wieder ein Programm, um die Strategie zu „implementieren“. In Bezug auf die Unternehmenskultur ein unsäglicher Begriff. Das alles kostet aber enorm viel und ist überhaupt nicht effizient. Im Agilen Unternehmen gibt es dafür ein gemeinschaftliches Gefäss. Bei AOE nennen wir diesen internen Event den „OpenFriday“. Ich zitiere aus unserem Intranet:

In an organization like ours we are all responsible to continuously improve our workaday life. We have the chance to improve EVERYTHING – therefore EVERYONE needs to get involved actively. The Open Friday is a safe place to share thoughts, new ideas, make announcements and discuss problems you may see.

Wir organisieren den Open Friday nach der Open Space Technology. Diese Sessions sind entscheidend für Verbesserungsprozesse und neue Teams, die neue Anforderungen umsetzen. Änderungen im Unternehmen werden hier angestoßen und finden einen natürlichen Weg in die Umsetzung.

Unser Pacemaker: Wachstum

Unser Geschäftsmodell unterscheidet sich von dem einer traditionellen Agentur in vielerlei Hinsicht. Das jetzt im Detail darzulegen, sprengt den Rahmen. Daher nur soviel: Wachstum generiert bei uns wieder Wachstum. Und dieses Wachstum ist eine echte Herausforderung. Beispiel Headquarter Deutschland: Waren 2012, als ich zu AOE gekommen bin, in Wiesbaden 51 Mitarbeiter fest angestellt, sind es heute (Mai 2015) 150.

Mitarbeiterentwicklung AOE Deutschland

Ein solches Wachstum, notabene organisch, ist schon rein von der Infrastruktur her eine enorme Herausforderung. Kulturell ist dies ein Riesenschritt.

Das Wachstum kommt auch daher, dass wir in neue Geschäftsbereiche vorgestoßen sind und mit viel grösseren Kunden arbeiten. Wir haben also nicht einfach x-Mal mehr gleiche Projekte gemacht und Kunden bedient, sondern wir haben ganz andere Projekte mit ganz anderen Kunden gestemmt. Dass das Team auf einer solchen Journey seinen Spirit behalten konnte (auch wenn eben nur sehr wenig gleich geblieben ist), und diese vielen neuen Anforderungen bewältigen konnte und weiter kann, ist für mich der Proof-of-Concept, dass das Modell des Agilen Unternehmens bestens geeignet ist, raschen Wandel zu bewältigen.

Als ich vor zwei Jahren mit einem Vertreter einer großen Firma über uns als agiles Unternehmen gesprochen hatte, meinte dieser: „Das ist ja schön und gut, aber sehen wir mal wie das dann ist, wenn ihr 200 Leute seid“. Et voilà, wir sind nun +200 und es funktioniert noch immer und ein Ende ist nicht absehbar.

Alles super? Ich bitte Sie!

Nach den oben erwähnten Punkten könnte der Eindruck entstehen, dass alles total reibungslos und problemlos verläuft und das Modell des Agilen Unternehmens sozusagen der Heilsbringer ist. Natürlich ist es das nicht und ja, natürlich haben wir teilweise massive Probleme. Dinge die nicht aufgehen, Projekte die in Schieflage geraten, Pläne die revidiert werden müssen. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. So wenig bei uns wie bei sagen wir mal IBM.

Ich picke 3 Punkte raus:

  1. Controlling
    Teamdynamik wirtschaftlich im Griff zu haben, ist schwierig. Bei uns gibt es auf Mitarbeiterlevel keine dieser unsäglichen Zeiterfassungen. Projekte und deren ökonomischen Aspekte trotzdem im Griff zu haben, ist eine enorme Herausforderung. Dazu kommt, dass im Bereich der Agilen Projektmethodik keine wirklich etablierten Kostenrechnungsmodelle existieren. Ich denke, wir sind in dem Bereich gerade dabei, nebst dem konventionellen Reporting Pionierarbeit zu leisten.
  2. Unsicherheit
    Mitarbeiter, die von Old Economy Firmen zu uns kommen, haben in der Regel erst mal Mühe mit der neuen Freiheit umzugehen. Fragen wie: „Wie, ich soll das jetzt selber entscheiden?“, „Was ist meine Rolle?“, „Darf ich das?“ sind allgegenwärtig und es dauert einen Moment, bis die Leute realisieren, dass Initiative und Engagement gewünscht sind und niemand irgendjemand an der Leine halten will.
  3. Zusammenarbeit mit starr strukturierten Kunden
    Die Zusammenarbeit mit Firmen, welche sehr hierarchisch organisiert sind und auch von agilen Methoden wenig Ahnung haben, gestaltet sich zunehmend schwierig. Vielfach wird nicht verstanden, wie wir vorgehen und es wird nicht akzeptiert, dass Teams autonom agieren können. Zum Glück sterben diese Dinosaurier gerade massenhaft aus. Diskussionen in diese Richtung sind jedoch noch immer an der Tagesordnung.

 

Agiles Unternehmen – Unternehmensform der Zukunft

Für mich ist das Agile Unternehmensmodell ganz klar das Modell der Zukunft. Es ist perfekt geeignet, raschen Wandel zu antizipieren und ökonomisch daran zu partizipieren. Es generiert Produkte und Dienstleistungen, die schneller auf dem Markt sind und besser auf die Bedürfnisse des Kunden passen. Und es setzt die Mitarbeiter auf eine menschenfreundliche Weise ins Zentrum des wirtschaftlichen Tuns. Sehen wir uns die gesellschaftliche Entwicklung der letzten 20 Jahren an, können wir beobachten, dass die Menschen genau das wollen. Mehr Freiheit, mehr Freizeit, mehr Selbstverwirklichung, mehr Flexibilität. Dafür geben sie gerne mehr Selbstverantwortung, mehr Qualität, mehr Leidenschaft und Identifikation und mehr Flexibilität zurück. Das sieht für mich nach einem gegenseitigen Gewinn aus. Oder vielmehr nach weniger Entfremdung zwischen wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Leben.

Nun ist Wissensarbeit natürlich perfekt für das Agile Unternehmensmodell geeignet. Aber täuschen Sie sich in dem Punkt nicht, es gibt auch produzierende Unternehmen, die bereits das Agile Unternehmensmodell leben. In einem späteren Artikel stelle ich zwei oder drei Beispiele vor.

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9 Antworten auf „Unternehmensmodell des Digitalen Zeitalters: Das Agile Unternehmen!“

Hallo Herr Veuve
als ehrenamtliches Mitglied der Stiftung ESPRIX , die sich auf die Fahne geschrieben hat, mittels des EFQM-Modells nachhaltige Excellence von Unternehmen und Organisationen zu fördern, habe ich Ihren Blog mit grossem Interesse gelesen. Verstärkt wurde mein Interesse auch durch die Begegnung mit einer anderen IT-Firma, die sich in Richtung Agiles Management bewegt. Und ich glaube, dass unser Modell bzw. seine Interpretation angesichts der massiven Veränderungen ebenfalls Veränderungsbedarf hat.
Vorausschicken möchte ich, dass ich mich mit Ihren inhaltlichen Aussagen problemlos identifizieren kann.
Zwei Punkte sind bei mir noch klärungsbedürftig und ich wäre für Ihre Kommentare dankbar:
– Strategie: Ich halte das top-down-Implementieren von Strategien für genauso unsäglich wie Sie und eine detaillierte strategische Planung über 3-4 Jahre ist wohl kaum mehr realistisch. Unklar ist mir noch (trotz Open Friday), ob das (verbliebene) Management noch eine Rolle bei der Strategie spielt und, wenn ja, welche.
– Einfluss der Grösse der Organisation: Nach meiner Erfahrung ist es in kleinen Organisationen einfacher, eine gemeinsame, vertrauensvolle usw. Unternehmenskultur, zu schaffen, als in grossen, erst recht noch dann, wenn sie auf mehrere Standorte/Länder verteilt sind. Dinge wie face to face Kommunikation ergeben sich in kleinen Organisationen fast von selbst bzw. lassen sich einfacher organisieren. Meine Frage: Was haben Sie bei zunehmendem Wachstum konkret getan, um den Spirit nicht zu verlieren oder eine Auseinanderdriften der Standorte zu vermeiden?
Mit besten Grüssen
Joachim Horner

Hallo Herr Veuve, sehr inspirierender Artikel. Ich beschäftige mich bereits seit Monaten mit der NewWork Idee und bin von dem Gedanken begeistert, unsere Unternehmensstruktur grundlegend zu modernisieren. Bin gespannt auf Ihre Beispiele des Modells von produzierenden Unternehmen. Beste Grüße, Moritz Schofeld

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